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31 Jahre, über die Hälfte ihres Lebens, hat sie in Handschuhsheim gewohnt.
Handschuhsheim war ihr mehr als ein Stadtteil Heidelbergs. In Handschuhsheim
fand sie noch einen dörflichen Kern, eine eingesessene Bevölkerung, die ihr ange-
stammtes Volkstum zäh erhalten hat. Im ständigen Umgang mit den Handschuhs-
heimern ist ihr die Freude am ungebrochenen Bauerntum, an Sitten, Bräuchen,
Mundart erwachsen. In den Handschuhsheimern ging ihr das Wesen der Pfälzer auf.
Ohne die Handschuhsheimer hätte ihr Pfälzer Roman „Der Bauernprophet" nicht
entstehen können, der mit seiner stark mundartlichen Färbung eine urwüchsig boden-
ständige Kraft ausstrahlt. Was sie bei den Handschuhsheimern, oder wenigstens bei
manchen der ältesten Bauern, besonders packte, war die visionäre Anschaulichkeit
der Rede, die sie, der selbst eine hohe Bildhaftigkeit des Wortes eigen war, oft
wie einen künstlerischen Genuß erlebte. Der alte Schlicksupp der Friedensstraße
hatte, so meinte sie einmal, bei seinen Erzählungen mehr dichterische Plastik, als
zehn berühmte Dichter zusammen. Zugleich fühlte sie sich immer wieder erfrischt
von dem Witz und der Drastik der Handschuhsheimer, ihrer Schlagfertigkeit, ihrer
Lust an Schnurren und Schwänken, — Eigenschaften, die ihrem eigenen Wesen stark
entgegen kamen.

Sie hat sich durch all die Jahre gut mit den Handschuhsheimern verstanden und
mehrmals dankte sie mit künstlerischen Gaben für das, was sie von Handschuhs-
heim empfangen hatte. Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen ließ sie gern ihre Hand-
puppen spielen. Vor allem aber sind in Handschuhsheim unvergessen die beiden
Burgspiele. Das erste (1932) war ein großer Erfolg, — einen Sommer hindurch hat
es Sonntag für Sonntag die Menschen in Scharen angelockt. Die im Dorfbewußtsein
noch weiter lebende Sage vom Untergang des Handschuhsheimer Geschlechts war
hier volksliedhaft schlicht und doch in packender Dramatik gestaltet. Zusammen mit
Pfarrer Höfer hatte sie das Spiel einstudiert und darüber gewacht, daß die Hand-
schuhsheimer Jugend sich selbst gibt, ungezwungen, ohne jedes Theaterpathos. Dies
Laienspiel hat damals weit über Heidelberg hinaus Beachtung gefunden. Maß-
gebende, wie Ernst L. Stahl, haben es warm begrüßt.

Dann und wann wurde Irma v. Drygalski als „Heidelberger Heimatdichterin"
abgestempelt. Aber schon der Roman Rineck sowie der biographische Roman
„Juliane v. Krüdener" (bei Eugen Diedrichs) weisen über die räumlichen Bezirke
der Stadt weit hinaus. Rineck ist Irma v. Drygalskis stärkste Leistung. Wie ein
Idealist des Humanitätszeitalters fahrendes Volk, Gaukler, Landstreicher, ja Ver-
brecher ansiedeln und zu echten Bauern machen will, wie dieser Versuch scheitert,
und damit endet, daß die Rinecker nach Amerika auswandern müssen. Das ist mit
hoher Gestaltungskraft und gedanklicher Tiefe dargestellt.

Wenn aber Irma v. Drygalskis Schaffen keineswegs von Heidelberg umschlossen
ist — sein Mittelpunkt war immer die geliebte Stadt. Zwei Volksspiele, „Das brot-
lose Mahl" und „Luther in Heidelberg", greifen Episoden aus Heidelbergs Ver-
gangenheit auf. Am bekanntesten geworden sind die Novellen „Im Schatten des
Heiligen Berges", die in diesen Tagen in 6. Auflage erscheinen (Brausverlag). Ge-
schöpft aus der Romantik Heidelbergs und seiner Landschaft, führen uns diese
Erzählungen Menschen vor Augen, denen die Begegnung mit Heidelberg schicksal-
haft wurde.

Die aber, die ihr näher treten durften, bewahren dankbar das Bild einer Persön-
lichkeit, die bei aller geistigen und künstlerischen Vielseitigkeit ein schlichter,
unverzerrter Mensch war, verhalten, beherrscht, und doch mit einem zupackenden,
hilfsbereiten Temperament. Im geselligen Kreise wurde sie, obwohl sie sich nie vor-
drängte, oft zum Mittelpunkt. Denn sie hatte die Gabe, jedes Gespräch gleich über die
Banalität des Alltags hinauszuführen und allen Dingen ihre lebendigste Seite ab-
zugewinnen. Ihr strahlender Humor aber und ihre sprühenden Einfälle gewannen
ihr erst recht die Herzen.
 
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