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der Schrecken werdcn, ist Dau--
mier niemals anakreontisch und
tritt niemals an das Nackte
heran. Mit alleiniger Aus-
nahme der Kinder, die im
Waster der Badewanne herum-
pantschen, bekleidet er alle seine
Figuren.

Nun die Gründe! Dam
mier ist veristischer, morali-
sierender Meister. Er verfolgt
das Schauspiel der Straße und
schildert die tausenderlei drol-
ligen Begebenheiten. Er beob-
achtet die Entwicklung des Zeit-
gemäßen im Kostüm, da ist kein
Platz sür das Nackte. Ein an-
derer Grund ist der Abscheu des
Daumier vor dem Klassischen.

Die Merkmale dieser Antipathie
kommen auf allen Blättern
seines Werkes zum Ausdruck,
man erkennt ihre Spuren in
seiner,,lckik-toire Lncienne", wo
Ariadne, halb Steingebilde,
halb bürgerliches Wesen, nach

dcm Meere und dem Lorizonte schaut, nach dem verschwindenden Schiffe des Geliebten,
wo Penelope an ihrem Teppich stickt, oder wo ein derber, herkulischer, entsetzlich
häßlicher Tölpel von einem Liebesgott einer spöttisch lächelnden Omphale mit den
Zügen einer alten Wucherin entgegengeführt wird, oder an jener Dame Coqucnard,
die er häusig in seine bürgerlichen Auftritte mengt. Als Daumier sich über das Theater
bclustigte, indem er Serien seiner tragiko-klassischen Masken herausgab, hat er für
die Körper seiner Äeldinnen kaum einen Blick gehabt; ihre Gcsichter genügten
ihm, das Mißverhältnis zwischen ihrer spießbürgerlichen Art und ihrem Auftreten
der Komödiantin und der Majestät der Verse, die von ihr ausgingen, zu zeigen;
dcr Kontrast zwischcn der erkünstelten Noblesse der Gebärde und der Gewöhnlich-
keit ihrer Züge gab ihnen das Komijche und das die Satire Äerausfordernde.
Man braucht darin keinen Einfluß des Romantismus zu sehen. Andere Roman-
tiker haben das Nackte zur Darstellung gebracht — man könnte von Daumier

O-lnseuse uu dul ^tudiUs.

SI. Galante Karikatur von Constantin Guys.

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