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Erklärung der Tafeln. — Die Wandgemälde des Domes zu Braunschmeig.

9. 1878.


reiche, aber noch wenig erforschte Spanien dürfte vielleicht noch viele
solche ungekannte Ciboriumsaltäre aufzurveisen haben, noch mehr
vielleicht die christlichen Kirchen Spriens und Kleinasiens, in rvelchen
sich die altkirchlichen Traditionen schon in Folge der Beibehaltung der
ältesten Liturgieen am strengsten bewahrt haben.

Abgesehen von einigen mehr oder minder geglückten Versuchen
in der Renaissancezeit kam die Anwendung des Ciborienbaues bis in
die neueste Zeit herein so ziemlich in Vergessenheit; die breiten,
schwerfälligen, bis zum Scheitel des Gewölbes sich emporarbeitenden
Altarcolosse der Spät-Renaissance und des Zopfthums ließen die ehr-
würdigen Formen des altchristlichen Altarbaues nimmer zur Geltung
kommen. Anders wurde es, als mit dem Wiedererwachen des Jnteresses
für die Kunst des christlichen Alterthums und Mittelalters zugleich
der Eifer für Restauration der alten romanischen und golhischen Dome
und kleineren Kirchen rege wurde. Frankreich und Belgien gingen
sowohl in thearetischen Studien über christliche Kunst als in gelungenen
Restaurationen ihrer mittelalterlichen Denkmäler rüstig voran und es
wurde auch die altehrwürdige Anordnung der Baldachine über den
Hochaltären in gelungener Weise wieder in's Leben gerufen; wir
nennen hier nur die uns aus eigener.Anschauung bekannten Altäre
in der Kathedrale zu S. Denis bei Paris, zu S. Paul in Nimes,
zu Baponne, in der S. Chapelle zu S. Vinzent v. Paul und S. Ambroise
in Paris. Jn Deutschland finden wir schöne derartige Ciborienbauten
im Dome zu Speper und der Karolinenkirche zu Prag, in der Lerchen-
felderkirche zu Wien und in der Abteikirche S. Martin am Martins-
berge in Ungarn; einen ganz mißlungenen Versuch jedoch (allerdings
aus der Periode der vierziger Jahre) in der Kirche Maria Stiegen

in Wien; im Renaissancestple in der Pfarrkirche zu Viechtach in
Bapern.

Daß die Amvendung der Baldachinform besonders für die Hoch-
altäre romanischer Kirchen sehr angezeigt sei, liegt auf der Hand.
Abgesehen von der noch immer giltigen Vorschrift des Oukrsmouiula
Upisoopormu *) ist schon die Anwendung des auf Säulen ruhenden
Baldachins der einfachste und stylgemäßeste Mittelweg zmischen den
beiden Klippen — der Unansehnlichkeit und Ungewohntheit des einfachen
Altartisches mit niedrigem Tabernakelaufsatze, und dem leider oft genug
und Uil Äbsuräuiu gemachten Versuche eines Hochbaues, der in un-
verstandener Weise aus Portalen und Kirchenfagaden ein romanisch
sein sollendes Bauwerk, das man allenfalls noch „bpzantinisch" taufte,
zusammenpfuschte.

Gehen wir nun zur Beschreibung des vorliegenden Altarplanes über.

Die Altarmensa ist für Construction in Stein gezeichnet; sieben
Säulen**) tragen die Altarplatte, zwischen denen in vier Flachnischen
die Figuren von alttestamentlichen Personen , die zur Jdee des neu-
testamentlichen Opfers in Beziehung stehen, auf Goldgrund gemalt
werden, nämlich Abel justu^, Abraham, Melchisedech und Aaron.
Bei reicheren Mitteln wäre die Ausführung solcher Bilder in Glas-

I-ili. 1, eax. XII: Ossuper vsro iu alw g,ppsiiäi>.tllr ullidrLeuIllii!, Pioä
bg.läaeliillu!ll voegnt, torings qug.ärs.ts.s, eoopsrieus illtgrs st ipsius Xlturis
seulisllllm, eoloris egoteroruill pgrg.msntoriim, ()i>oä Iia.läg.eliin>iill otigni siiprn
stgtusnäuin srit, si illtgro sit g purists ssi»lletuni, nee supra. Iiudsg.t gliquoä
eiboriuin ex lupiäs nut ex nig.rinors eonfsctuni.

Nach dem Schrifttexte: 8g.pisntig. geäiüegvit sidi äoniuni, sxciäit
eolumngs ssptsm, . . . st proposuit nisnsgm.

mosaik*) zu empfehlen. Der Aufsatz des Altares besteht in einem
doppelten Tabernakelbaue — dem unteren zur Reponirung des aller-
heiligsten Sakramentes, mit einem in vergoldeter Bronce auszuführenden
Doppelthürchen; die obere Abtheilung besteht aus einem Ciborium
sn minia.tur6. einem Baldachine mit Kuppelbedachung auf vier Säulen,
das zur Aufnahme des metallenen Altarkreuzes und bei Expositionen
zur Ausstellung der Monstranze bestimmt ist.

Die beiden Seitenflügel bestehen 1) aus der unteren Leuchter-
stufe, 2) einer kleineren Prädella mit vier Abtheilungen, in welchen
Reliquien von Heiligen eingesetzt werden können, 3) einer solchen
größeren mit Neliefs aus dcm Leben des betreffenden Altarpatrones
oder mit Scenen, die sich auf das heilige Meßopfer oder das heilige,
Altarssakrament beziehen.

Ueber diesem Altaraufsatze nun erhebt sich auf vier Säulen der
Baldachin oder das Ciborium, über dessen Construction, Durchschnilt
und Grundrißzeichnung bei 1 und 2, Tafel 55 Ausschluß gibt.

Das Ganze ist mit Ausschluß der Mensa in Holzconstruction
gedacht, mit reicher Vergoldung und Polychromirung; sämmtliches
Laubwerk und die Gesimsgliederungen sind zu vergolden (Hohlkehlen
mit kräftigen Farben in roth, blau oder grün), die Flächen in leicht
röthlich-gelbem Tone zu fassen. Die Schäfte der vier großen Säulen
des Baldachines sollten auf grünem oder rothbraunem Grunde ein
romanisch stplisirtes, sich verschlingendes Muster in Gold erhalten,
wofür wir im nächsten Hefte einige Vorlagen bringen werden.

*) Wir verweisen hier auf die im letzten Doppelhefte besprochene Wiederaufnahme
dieses Knnstzweigcs in der Glasmosaikfabrik von Albert Neuhauser in Jnnsbruck,

welche gegenwärtig in Paris mehrere höchst gelungene Produkte ausgestellt hat.

Wir haben in den letzten Nummern dieser Zeitschrist den groß-
artigen Cyclus von Wandmalereien zwcier hervorragender Denkmale
romanischer Baukunst, der Godehardikirche in Hildesheim u»d der
Kirche S. Maria am Kapitol in Köln, als die neuesten mustergiltigen
Leistungen dcr mcmumentalen Wandmalerei besprochen. Wer die
tiefdurchdachten Bilderreihcn der beiden romanischen Bafiliken durch-
geht, wird einsehen, daß deren Anordnung nicht erst eine neu erfundene,
sondern nur eine Frucht eingehenden Studiums der Meisterwerke der
mittelalterlichen Malerei sein könne. Wie die architektonischen Formen
der mittelalterlichen Kunst nicht aus der Phantasie eines modernen
Künstlers entspringen können, sondern nur unter den Händen Des-
jenigen zu einem harmonischen Ganzen sich aufbauen, welcher aus
den vorhandenen Denkmalen dieser Glanzperioden die Entwickelungs-

gesetze der Construction, der linearen und pflanzlichen Ornamente,
der entsprechenden Anwendung von Thier- und Menschengestalten
gründlich studirt u»d durch vielfaches Copiren der besten Muster die
Linienführung der alten Meister sich angeeignet hat, so ist es auch
mit den Jdeen und Formen der mittelalterlichen Wandmalerei der
Fall. Ein bloßer Akademiker ivird nie im Stande sein, eine romanische
Kirche im Geiste des Alterthums und der Kirche auszumalen; er muß
zuvor nicht nur'das gewissermaßen Körperliche der alten Kunst, die
Form der Linienführung, die Farbengebung, architektonische Naum-
eintheilung und Ornamentation, kurz die Stylisirung seiner Gestalten
und deren llmgebung von den Alten lernen, sondern auch das
Jnnerliche, gewissermaßen die Seele der alten Kunst, den Gedanken-
gang jener Kunstperiode, den Jnhalt der mittelalterlichen Symbolik

und Mystik kennen gelernt und in sich aufgenommen haben. Zu dcn
in dieser Hinsicht lehrreichsten und reichhaltigsten Ueberresten mittel-
alterlicher Wandmalerei, deren Studium auch in den neuen Wand-
gemäldcn in Hildesheim und am Kapitol in Köln unverkennbar ist,
gehört der berühmte Bilderschmuck des Domcs von Braunschweig,
den wir hiermit in Kürze schildern wollen.

Nach seiner Nückkehr aus dem hciligen Lande begann Heinrich
der Löwe im Jahre 1172 den Bau des in mäßigen Verhältnissen
angelegten Domes und vollendete ihn schon um das Jahr 1194. Die
Anlage der Kirche ist die der größeren Münster jener Zeit, — eine
gewölbte dreischiffige Pfeiler-Basilika mit vorgelegtem Querschiffe
sammt Chorquadrat und drei vorspringenden halbkreissörmigen Apsiden,
unter dem Chore eine sänlenreiche Crypta. Die beiden Seilenschiffe
 
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