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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. 2.1876/​80

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1. und 2. Heft (1877)
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Die malerische Ausschmückung der Pfarrkirche St. Maria im Capitol zu Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.26637#0008
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Anschließend an die in dem letzten Hefte des ,,Kirchenschnmck"
geschilderte Ausmalung der Basilika des hl. Godehard in Hildesheim
bringcn wir heute unseren Lesern eine ausführliche Beschreibung jenes
großartigen Bildercyelus, mit welchem eine der schönsten mittelalterlichen
Marienkirchen Deutschlands, die Hauptpfarrkirche zu St. Maria im
Capitol in Köln, in den jüngst verflossenen Jahren in momnnentaler
Weise geschmückt wurde. Der in theologischer, mie archäologischer und
kbnstlerischer Hinsicht gleich großartige und geniale Gedanke zu diesem
gemalten Hymnus auf die seligste Jungfrau ist ein Werk des verdienst-
vollen Direktors des germanischen Museums in Nürnberg, Herrn
Essenwein, welcher auch die sämmtlichen Detailpläne für die innere
Einrichtung dieser Kirche fertigte. Die Cartons zu den einzelnen Bildern
sind von Professor I. Klein in Wien gezeichnet, der es, wie Keiner
versteht, den Ernst und die Strenge der altcn Kunstformen mit idealer
Schönheit zu vereinigen. Die Ausführung des gesammten Bildwerkes
ist von dem an gcnannter Kirche angestellten Herrn Kaplan Göbbels
ganz im Geiste des MeisterS des Mittelalters übernommen rurd glück-
lich zu Ende gesührt worden.

Der Grnndgedanke, den das Mittelalter in der Verehrung Mariens
fand und der es zu seinen Kunstschöpfrrngen bcgeisterte, war ihre Theil-
nahme an dem Werke dcr Erlösung. Wie Christus als der neue Adam
betrachtet rvurde, so Maria als die neue Eva. Wie durch Eva die
Süude und der Tod in die Welt gekommen waren, so durch Maria
die Erlösuug und das Leben. Durch sie war die Verheißung des
Herrn (6srr. Z, 5) erfüllt worden, daß durch das Weib der Schlange
der Kopf zertreten werden sollte. Ave und Eva sind die beidcn Gegcn-
sütze, rvelche den Dichtern und Künstlern dcs Mittelalters den Krcis
angabcn, in dcnr sich ihre Gcdanken bewegten: Der Sündenfall und
die durch die Verkündigung Mariü eingeleitete Erlösung.

Dieser Gedanke ist nun auch bei der inneren Ausschmückung von
St. Maria inr Capitol zu Grunde gelegt worden, und arrf ihm basirt
der ganze Bilderkreis, welcher in vier, resp. sechs Theile zcrfällt. Die
einzelne» Thcile umfassen folgende Darstellungen:

Der crste den Sündenfall und die Verheißung Mariä;

der zweite die prophetische Wiederholung dicser Verheißung
und die Darstellung der Ahnen der seligsten Jrrngfrau;

der dritte Maria als rspmmtrrx rnuncki, als die Mrrtter des
Erlösers, die Miterlöserin.

Die drei andercn Theilc stellen in dcn Geheimnissen dcs drei-
fachen Rosenkranzes die Mitwirkung Mariä bei dem Erlösungswerke
und ihre Glorie dar, so daß also

der vierte Theil den freudenreichen,
der fünste den schmerzenreichen und
der sechste den glorreichen Rosenkranz zum Gegenstande hat.
Beginnen wrr nun mit der Erläuterung dieser cinzelnen Theile
in ihren bildlichen Darstellungen.

!. Aie Kchöpfung und dcr Srindenfafl.

Borhalle.

Treten wir in die Vorhalle ein, so begegnet uns an der West-
wand ein großcs Bild, dic Schöpfung darstellend. Jn der Mitte des
oberen Theiles Gott Vater, wie Er Himmel und Erde u»d Alles,
was darin lebt und sich bewegt, crschaffen hat. Mit dem Kreuznimbus
um das Haupt, sitzt Er auf dem Regenbogen. Ein zweiter Regenbogen
umgibt Jhn, Strahlen gehen von Jhm aus; Sonne, Mond und
Sterne zu Seincr Seite. Als weitere Nmgebung die neun Chöre der
Engel: die Cherubim und Seraphim als vielfach geflügelte Köpfe
dargestellt; die Thronc (tbrnrri) als geflügelte Ringe zu Seinen Füßen;
zur Rechten aus 'Wolken stehend die Gewalten (pr rneiinrtns), Herr-
schaften (ilonrinutinrrvs) und Mächte (pntnstkrtLs); zur Linken die
Kräfte (virtrrtes), die Erzengel (iri'i'lririrAkcki) und die Engel (arrZöli).
Die untere Hälfte dcs Bildcs zcigt die Geschüpfe der Erde: in der
Mitte das fcstc Land mit Bäumen und Pflanzen vcrschiedener Art,
vierfüßige Thicre rrnd Neptilicn, in ihrer Mitte den Menschcn. Jn
zwci Streifen rechts und links das Wasser mit scinen Geschöpfen; in
dcm darüber übrig bleibenden Nanme die Vögcl des Himmels. Die
Jnschrift, welche die ganze Darstellung umgibt, lautet nach I Mos. 1.
und 2.: ,,In pi'irroipio oroavit ltorrs oooturrr ot tori'urrr. Itixitguo
ltous: 6a.t lux! ot sirotu ost lux. Niut lrr'uruiuoirturrr iu rrrockio
uguui'urrr. Corrgi'oMutui' u.gna.o. Oornrinot torra lrorlrurrr virontour.
b'iunt lurninuria in ürinarrrsnto ooocki. I'rockuoant aguao roptile
ot Volatilo supor torrarn sulr ürinarnonto oooli. lrockuoat torra
airiinanr vivontonr, iunronta ot roptilia ot Irostias torrao. blt
oroavit Üous lroiniironr ack imaZirroirr ot siinilituckiirorn suain."
(„Jm Anfange schuf Gott Himmel und Erde. Und Gott sprach: Es
werde Licht! und es ward Licht. Es werde eine Veste iu Mitte der
Wasser. Es sammle sich das Wasser. Es sprosse die Erde Gras, das
grünt und Samen bringt. Es sollen Lichter werden an der Veste des
Himmels. Es bringe hervor' das Wasser kriechendcs Thier und Ge-
flügel über der Erde unter der Veste des Himmels. Es bringe die
Erde hervor lebende Wesen nach ihrer Art, zahmes Vieh und Ge-
mürm und die Thierc der Erde. Und Gott schuf den Menschen nach

Seinem Ebenbilde.") Auf dem Regenbogcn, der den segnenden Gott
Vater umgrbt, stehen die Worte: „Ut vickit Uous, guock orunia ossout
liona, ot Ironockixit illis." („Und Gott sah, daß Alles gut war, und
segnete es.")

Das Gewolbe zeigt uns das Paradies, das vorr den vier Flüssen
durchschnitten wird, die vom Scheitelpunkte ausgehend nach den vier
Ecken sich ergießen und die Gewölbegräte markiren. Jn einem Kreise
sind sie als menschliche Figurcn dargestellt, die aus Urnen Wasser
ergießen. Jhre beigeschriebenen Namcn sind: siliison, 6oIion. Vz'^ris,
bluplii'atos, und sie haben die Umschrift: ,,IUtkusa ost »i'atia Iloinini
snpoi' oinnoru toi'i'anr." („Die Gnade des Herrn ist ausgegossen über
die ganze Erde.")*) Eine Maucr mit Zinnen und Thürmcn umgibt
kreisförmig den Gemölberaum bis zu dcn Scheitelpunkten der Schild-
bogen, welcher durch die Paradiesesflüsse iu vier (sphärische) Dreiecke
getheilt wird. Jn diescn Drciecken ist dargestellt:

1. Das Verbot, vom Baumc der Erkenntniß des Gutcn und des
Bösen zu essen. Gott Vater crscheint auf dem Baume im Brustbildc,
zu beiden Seiten Adam und Eva; darunter die Jnschrift (Oonos. 2. Ul>-:
,,blx oruui li>uo par'ackisi omuocko; cks ligno a.utoiu soiontiao Iioni
ot inali rro oomockas." („Von jedcm Banmc des Gartcns magst du
essen; aber vou dem Baume der Erkcnntniß des Guten und Bösen
sollst du nicht essen.")

2. Die Verführung der Eva durch dic Schlange, welche, um den
Stamm des Baumes gerollt, Eva den Apfel rcicht; mit der Jnschrift:
„Vickit uiulioi' ijuock bonnin ossick lignuiu a<I vesoouckuni, ot tulit
cke kruotu illius ot oornockit." („Da sah das Weib, daß der Baum
gut für das Essen, und nahm von sciner Frucht und aß.")

3. Eva rcicht Adam die Frucht. Dabci der Schrifttext: ,.I>ockit-
guo viro s»o, gui ooiuockit. IN apor'ti srrnt oouli ainliornin." („Ilnd
sie gab ihrem Manne, der auch aß. Da wurden Beider Augen auf-
gethan.")

4. Die Zurechtweisung. Gott Vatcr erschcint wieder auf dem
Baume; Adam und Eva wenden sich wcg. Darrrnter die Schrift:
„Vooavit lioruinus Oous ^.ckunr; gui nit: Vocour tua.ru nuckivi iu
purackiso ot tiruui." („Und Gott, der Herr, ricf Adam. Der sprach:
Jch habe Deine Stimme im Garten gehört und mich gefürchtet.")

Diesem Bilde zunächst, in dem Bogenfelde über den drei Oeff-
nungen, die in's Schiff der Kirche ftthren, ist die Vertreibung aus

h Jn Vcr Mitte dcr Vorhallc, geradc untcr den Parcidicsesflüsscn, hat der
 
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