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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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nichts. Dies wahrhaft Wesentliche aber enthüllte solche
Beziehungen zum Letzten der Kunst, dass ich diese
Stunden stiller Arbeit nur andeutend nennen kann als
ein Mysterium.

Rationell im fabrikationstechnischen Sinn ist solches
Arbeiten nicht. Die eigene Arbeit ist, so betrachtet, zu
teuer. Aber: ist Kunst denn rationell, ist ein Bauplan
denn eine Fabrikation? Oder aber: ist es rationell das
Wesentliche ungenügend herzustellen? Haben wir nicht
in diesem Sinne vorher unrationell gearbeitet? Trägt
doch - wie alles, so auch die Baukunst unsrer letzten
Jahrzehnte den Stempel des guten Willens, des eifrigen
Wollens und dabei der Unreife, der Unfertigkeit, der
versäumten Gelegenheit. Und gerade die Werke unserer
bekanntesten Architekten empfand man, je besser der
Ansatz war, um so schmerzlicher als unfertig, als im
Keime erfroren.

Und nun kommt mein Erlebnis, das so stark ist, dass
ich fast glaube, es ist das Erlebnis der Zeit: die leben-
dige Kraft der Elemente.

Aus dem Elementaren, aus dem Einfachsten heraus
müssen wir beginnen; was ein Fensterloch in der Mauer,
was eine Mauerfläche, ein Sims, was eine Treppen-
stufe, was Fussboden, Wand und Decke eigentlich sind,
das müssen wir erst wieder erfassen, erringen und
sichtbar hinstellen. Einfach, bis zur Armut meinetwegen
(was nimmermehr Nüchternheit bedeutet), aber lebendig,
gefühlt bis ins Letzte hinein muss unsre Arbeit werden,
sonst wäre uns besser, wir hätten einen Mühlstein um
den Hals und ertränkten uns, sonst wäre uns besser,
der Krieg hätte uns zu Dünger zermahlen, denn wir
wären der wunderbaren Erhaltung nicht wert. Und
wer mit der verfluchten Fixigkeit, wer mit toter Kunst
weiter Handel treibt, wer das Lebendige und drum
vielleicht Herbe dem Wohlgefälligen opfert, der ver-
sündigt sich an den heiligen und bittern Leiden dieser
läge. So allein auch kann vielleicht doch einmal
wieder ein Niveau entstehen, ein Rahmen, innerhalb
dessen und aus dem heraus auch das Talent seine
Bluten treiben kann, ohne absurd und beziehungslos
zu sein.

Auch die uns zeitlich nicht so fern liegende und
durch Lehre uns nahe gerückte Tradition ist ein Fer-
SchS'nfin Reifes> das zu übernehmen nur für den
nnellkunstler möglich und nötig ist. Wer aber unter

den eigenen Fingern das Leben jeder Linie, jeder
Form knistern fühlt, wer das Zeichenblatt so lange vor
den Augen hat oder das Mauerwerk so lange durchs
Baugerüst heraufwachsen sieht, bis alles zusammen
einen Klang hat, der bekommt Hochachtung vor den
reifen Früchten vergangener Zeiten, er fühlt ihre Reife
wie sommerlichen Duft, aber er kann seinen Baum
nicht mit diesen Früchten behängen.

Zugleich mit dieser Erfahrung fiel mir das Buch
Tessenows in die Hand, das von dieser Erfahrung aus
unmittelbar verständlich, ohne diese Erfahrung ge-
wiss unverständlich ist. Der Wert des Buches liegt
darin, dass Tessenow nicht erst unter der Zucht des
Krieges sich besonnen hat, sondern seinem Wesen nach
das ist und hat, was wir uns nun erringen müssen. Er
ist ganz bei der Sache, er ist ganz fabrikationsmässig
unrationell und darum künstlerisch höchst rationell, er
geht ganz auf das Wesen, ganz auf den Lebenswert
der Elemente, er ist einfach bis zur Armut, so sehr,
dass man wirklich von der genannten Erfahrung ausgehn
muss, um den Klang dieser wenigen Linien zu erfassen.
Er bildet jede Linie mit dem eigenen Stift und steigert
diese Liebe zum eigenen Stift bis zum selbständigen
Zeichenwert des einzelnen Blattes. Und wie ich uns
Bauenden die Stille seiner Zeichenstube wünsche, so
möchte ich ihm nun noch die Greifbarkeit der Mauer,
das häufigere Erlebnis des Rohbaues, kurz die Sinnlich-
keit, die Wollust des wirklichen Bildens wünschen, da-
mit ein warmer Hauch dieser Sinnlichkeit die gezeich-
neten Striche nicht nur zur eurhythmischen Linie,
sondern zum Symbol einer Wirklichkeit, einer Greif-
barkeit mache. Eine der Zeichnungen, Seite 105, zeigt
wirklich, dass ein Giebel mit einer Hausthür und drei
Fenstern, ohne alle Zuthat, nur durch seine wohler-
wogenen Elemente, ein vollwertiges Stück sein kann.
Kaum wohlgefällig, eher arm als reich, aber vollkom-
men lebendig, vollkommen klingend, vollkommen reif.

Der Text des Buches ist geschrieben von jemand,
der ganz an seiner Stelle steht und von da aus seine
Probleme betrachtet. Das giebt immer neue Profile,
es giebt auch wohl Verzerrungen, aber die meisten
Profile sind nicht nur neu, sondern überzeugend, und
in jedem Falle höchst anregend. Denn auch hier ist
die Naivetät nicht wohlerwogene Selbsterziehung, son-
dern Natur. Otto Bartning.

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BurrernfÜ^rTg lndie m°derne Kunst, von Fritz Rubens, der grosse Flame, eingeleitet von

l ü ~kade™sche Verlagsgesellschaft Athenaion Artur Weese. Delphin-Verlag, München,
m. d. n. aerhn-Neubabelsberg Ottomar Schwager: Aus der Satteltasche.

D. Frh
mann, 1917

v. Hadeln.

Kriegsskizzen, erste Folge. Bulgarien, Türkei 191 j-1916-
Militärische Verlagsanstalt, München 1917.

Die Wandgemälde aus Schloss Lichtenberg
Stuttgart, Verlag Jul. Hoff- in Tirol von Julius von Schlosser. Deutscher Verein

für Kunstwissenschaft, Wien 1916.

. DAaSf^!eUm aU f °iable zu Maubeuge

Im Auftrage emes A. A. K., herausgegeben von

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