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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 2
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Liebermann, Max: Anschauung und Idee
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0059

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das vorzüglich Wahrheit gegen sich selbst, das
Höchste ist das ihm zu erreichen Höchste. Und
nur zu oft ist Idealität nur ein anderer Ausdruck
für Nichtkönnen.

Kunst steckt nicht in der Natur, wie Dürer
meint, sondern in der Seele des Künstlers: wer sie
aus der Seele heraus kann reissen, der hat sie.

Die Natur ist nicht das Sujet, das Subjekt, son-
dern das Objekt der Kunst, sie ist der Stickrahmen,
in dem der Künstler seine Empfindungen und Ge-
fühle hineinwebt. Sie bietet ihm die Gelegenheit
zur Entfaltung seiner Kraft; in diesem Sinne ist es
zu verstehen, wenn Goethe alle seine Gedichte Ge-
legenheitsgedichte nannte, die Natur ist nur der
zufällige Anlass für den Ausdruck der Empfindungen
des Künstlers, die, wenn er Maler ist, der Ausdruck
seiner ihm innewohnenden Form sind. Die ihm

eigentümliche Form liegt in ihm von der Geburt
an, sie ist die Urzelle, aus der sich sein Genie ent-
wickelt, wofür ich freilich keinen andern Beweis
erbringen kann, als den der Notwendigkeit, ge-
rade so wie Kant das Dasein Gottes nur mit der
Notwendigkeit seiner Existenz bewiesen hat. Aus
dieser Urzelle entwickelt sich die Form für die
Wirklichkeit, sie zwingt ihm das Bild auf, das
er von der Wirklichkeit darstellen muss. Denn
das unterscheidet den echten Künstler vom Kitsch-
maler, dass er nicht anders malen kann, als er malt,
während der Kitschmaler malt, wie es die Mode
verlangt. Daher sind alle Regeln und Vorschriften
der Ästhetik, und kämen sie von der höchsten
Autorität, sinnlos; das Genie wirft sie über den
Haufen, da es sein eigener Gesetzgeber ist und nur
dem Gesetze folgt, nach dem es angetreten."

GUSTAV DORE, HOLZSCHNITT AUS DEM „DON QUICHOTTE"

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