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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 3
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Friedländer, Max J.: Dürers Denken und Gestalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0096

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Er wurde der erste deutsche Ästhetiker; und es
war ihm keine kleine Mühe, in einer Sprache, die
zu solchen Darlegungen noch garnicht ausgebildet
war, über Kunst zu sprechen.

Wir blicken nicht ohne Befremden und Be-
sorgnis auf diese Bemühung und sind geneigt, schon
in dem Bedürfnis Dürers einen Mangel der gestalten-
den Kraft zu sehen. Allein die Wissenschaft zu
Anfang des sechzehnten Jahrhunderts glich nicht
der reifen, ruhigen und ihrer Grenzen bewussten
Gelehrsamkeit unsrer Tage. Jene Wissenschaft be-
sass die Vorzüge und Fehler der Jugend, sie war ent-
husiastisch, voller Aberglauben und unkonsequent.
In die vernunftmässige Lehre klingen dunkle Äusse-
rungen widerspruchsvoll hinein. Einmal spricht
Dürer von den „oberen Eingiessungen", also von
Inspiration, dann klagt er: „ach wie oft sehe ich
grosse Kunst im Schlaf, wie sie mir im Wachen
nicht vorkommt." Endlich die schöne Stelle: „ein
guter Maler ist inwendig voller Figur und wenn
er ewig leben würde, hätte er aus den innern Ideen,
von denen Plato schreibt, allweg etwas Neues durch
die Welt auszugiessen". Diese Äusserungen ver-
bieten uns, den Ästhetiker Dürer als einen Ratio-
nalisten zu bezeichnen.

Dürer strebt danach, den „Gebrauch1' mit der
„Kunst" zu vermählen und einen Zwiespalt auf-
zuheben, der letzten Endes zwischen dem Un-
bewussten und dem Bewussten, zwischen Gefühl
und Vernunft, (in unsrer Sprache: zwischen Kunst
und Wissenschaft) klafft. Ihm stand auf der Seite
des Gebrauchs alles, was leicht von der Hand ging,
was Instinkt, Überlieferung, Empfindung und
Kindheitsgewöhnung boten. Der „Gebrauch" war
deutsch. Und dazu gehörte die Gotik mit ihrer
Grenzenlosigkeit und Verschlungenheit. Die „Kunst"
aber kam aus Italien. Zu ihr gehörte das Ergebnis
schwerer Gedankenarbeit, Perspektive und Propor-
tion, alles mühsam Errungehe, das dem Meister
wertvoller dünkte als das Ererbte. Je nachdem
sich Dürer nach dieser oder jener Seite wendet,
wandelt sich der Ausdruck seiner Gestaltung. Die
Jugendarbeit ist eher naiv. Später gewann das
Wissen mehr und mehr Macht. Aber man darf
nicht meinen, dass Dürer irgendwann an dem „Ge-
brauch" Genüge gefunden, und auch nicht, dass
er jemals den „Gebrauch" aufgegeben habe. Der
Kampf der beiden Mächte durchzieht sein ganzes
Leben.

Im Groben erscheint Dürers jugendliche Schöp-
fung stürmisch, vielgliedrig und gefühlvoll, sein

reifer Stil eher massig, fest begrenzt und ruhig.
Der verästelte Baum wandelt sich zur Säule.

Bei der Darstellung des Nackten gab die Werk-
stattüberlieferung dem Meister geringe Sicherheit.
Hierbei traute er seinen „inneren Bildern" nicht.
Nur die „Kunst" konnte helfen. Dar Thema war
dem Deutschen nicht natürlich und weckte ihm
die Sehnsucht nach der verschollenen Vollkommen-
heit der heidnischen Götterbilder. Dürer glaubte
nicht, den nackten Leib, der, durch Kleidung entstellt
und der Unschuld beraubt, ihm hie und da sichtbar
wurde, durch blosse Naturbeobachtung beherrschen
zu können, und vermochte sich nicht vorzustellen,
dass die grossen Meister der Antike nur aus Gefühl
und Schauen das Höchste erreicht hätten. Er glaubte
an allgemein gültige Zahlen für die Verhältnisse und
strebte danach, diese Zahlen zu entdecken.

Das Nackte war ihm eine lockende Aufgabe,
wie selten auch Aufträge ihm Gelegenheit boten,
unbekleidete Gestalten darzustellen. Die Humanisten
mögen ihn ermahnt haben, mit den grossen Meistern
der Antike auf ihrem Gebiete zu wetteifern. Ab-
gesehen von dem Reize des Ungewohnten, musste
der ernst ringende, in die Tiefe dringende Zeichner
das Bedürfnis spüren, den Menschenleib hüllenlos
kennen zu lernen und sich über den Organismus
klar zu werden. Er wurde von der bekleideten
Figur zur nackten, von der nackten Gestalt zum
Knochengerüst getrieben.

Einige Zeichnungen und Kupferstiche aus früher
Zeit, sowie eine Buchsfigur in Berliner Privatbesitz,
bewegte, erregende, dämonische Frauengestalten
zeigen, wie weit Dürer aus der Beobachtung und
der Badstubenerinnerung kam, zeigen einen Weg,
den er verliess, von dem ei abbog, als er zu messen
und zu rechnen begann.

Von 1501 datiert ist die älteste Zeichnung
einer nackten Frau, wo deutliche Spuren messender
Thätigkeit erkennbar sind. In den folgenden Jahren
hat Dürer viel Kraft an solche Versuche gewendet.
Sein berühmter Kupferstich mit Adam und Eva von
1504 ist Ergebnis, Abschluss und Schulbeispiel.
Die umständliche Entstehungsgeschichte des mit
ungemeiner Sorgfalt durchgebildeten Kupferstichs
lässt sich in Zeichnungen verfolgen. Nirgends ist
so gut zu beobachten, wie der Meister Naturstudien
einem System unterwirft. Der Adam stammt von
Apollo ab, wie die Eva von einer Venus. Als Er-
zählung des Sündenfalls ist das Blatt matt und aus-
druckslos. Die Bewegungen der Figuren sind in-
haltlich nicht begründet.

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