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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 3
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Lichtwark, Alfred: Der junge Künstler und die Wirklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0117

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Dazu ist einmal die Organisation der Verwaltung
zu schwerfällig. Für die ringende, ja eigentlich für
die lebende Kunst kommen die Museen, soviele
ihrer sind, so gross allmählich ihre Einkünfte ge-
worden, noch nicht dauernd und gleichmässig in
Betracht. Sie sind für die lebenden Künstler nichts
Wirkliches, womit zu rechnen wäre, das, wie der
Kunsthandel, Einfluss hätte, Aufgaben stellt. All
das setzt die Museen an Wichtigkeit für die lebende
Kunst heute noch weit unter den Kunsthandel.
Sie sollen ihr Wirkungsgebiet noch erst finden.

Unsere Zustände pflegen vom Künstler, der
darunter zu leiden hat, und der nicht mehr gewohnt
ist, irgendwo mit einer Wirklichkeit zu rechnen,
als ein an ihm geübtes Unrecht betrachtet zu wer-
den. Er sagt sich nicht: ich habe durch den Ent-
schluss, Künstler zu werden, durch den Besuch der
Akademie und durch die Beschickung der Aus-
stellungen keinerlei Rechte erworben. Ich habe
das Künstlertum als Martyrium auf mich genommen,
an dem die Akademie unschuldig ist, und aus dem
mich herauszureissen das Publikum keinerlei Ver-
pflichtung hat. Er rechnet sich nicht als Schuld,
dass ihn doch niemand gezwungen hat, Künstler zu
werden, sondern schiebt die Schuld auf den Staat,
der ihm die Schule geöffnet, und zürnt dem Publi-
kum, dass es ihn nicht anerkennt. Ja, er kommt
meistens sogar zu dem Schluss, es habe der Staat
die Verpflichtung, für ihn zu sorgen. Dass er da-
mit den Boden aller Wirklichkeit endgültig verlässt,
ahnt er nicht, denn an Wirklichkeit ist er nicht
mehr gewöhnt.

Wäre der Künstler nicht durchweg bei aller
Klugheit so erschrecklich unintelligent, so müsste
er von selbst erkennen, wie die Wirklichkeit be-
schaffen ist. An keiner Stelle besteht die geringste
Verpflichtung gegen ihn. Niemand wünscht sein
Dasein, nach seinen Werken trägt niemand Begehr,
niemand wartet, niemand freut sich darauf. Nicht
einen unter tausend kennt sein Volk mit Namen,
nicht einem unter Tausenden blüht das Glück, dass
jedes neue Werk mit Jubel oder Hass begrüsst
wird.

Wie sollen diese Zustände, die ganz allgemein
sind, gebessert werden, wer soll sie bessern? Ist es
denkbar, dass eine Besserung durch den Einfluss des
Staates und seiner Organe oder durch das Publikum
einsetzen könnte? Doch wohl sicher nicht, denn
wer sollte diese Wendung bewirken? Wie sollte
sie vor sich gehen? Jeder Ansatz, der etwa versucht

würde, beweist sofort, dass das Exempel nicht auf-
geht. Auch das nächstliegende, eine Änderung der
Akademien. Wer ihre Geschichte verfolgt, kann
einer pessimistischen Auffassung kaum ausweichen.
Womit nicht gesagt sein soll, dass sie nicht von
Generation zu Generation umgewandelt werden
müssten. Was 1870 gut war, kann 1920 vom
Übel sein.

Helfen kann dem Künstler nur er selber, wenn
er sich fest auf den Boden der Wirklichkeit stellt
und kräftig und unerschrocken die Dinge mit ihrem
Namen nennt, auch sich selber. Er ist nicht der
Ausnahmemensch, für den er sich hält, in zehn-
tausend Fällen nicht ein einziges Mal. Er hat
keinerlei Anspruch zu erheben, sondern sich ein-
zuordnen. Er hat sein Leben praktisch und nüchtern
zu führen wie jeder andere Bürger. Am besten
sieht er sich als Handwerker an — die Zehntausend
sind immer nicht mehr als das — und sucht sich
eine Kundschaft.

Er findet sie, wenn er sich fragt, wo das Be-
dürfnis steckt, und wenn er zu Anfang die Forde-
rungen für das, was er im Jahre schafft, nicht
wesentlich höher stellt als die Gesamtsumme seines
Verbrauchs; die Zehntausend wären ja selig, wenn
sie mit einiger Sicherheit soviel zu erwerben ver-
möchten, das weiss ich.

Bringt er es durch volle Hingebung auch an
die schlichteste Aufgabe dahin, dass seine Werke be-
gehrt werden, hat er die Freiheit errungen.

Die Zehntausend sind jeden Augenblick bereit, die
Überzeugung auszusprechen, dass der Stoff gleich-
gültig ist. Dann wäre aber doch auch nichts im
Wege, dass sie sich fragen, was wünscht die Zeit,
was braucht die Zeit?

Also heute: die Zeit hat wenig Verlangen nach
der Landschaftsstudie, wie sie* nun seit dreissig
Jahren von den Zehntausend gemalt worden ist.
Sie kann die eine kaum noch von der andern unter-
scheiden, darum sind sie auf dem Wege, ihr alle
gleichgültig zu werden. Die Welt hat ein so plötz-
liches Erschlaffen der Teilnahme schon einmal er-
lebt. Um 1670 gab es noch eine grosse holländische
Landschaftsmalerei, um 1700 konnte man nur hoch
Veduten malen. Das könnte sich sehr wohl wieder-
holen, und mich sollte es nicht wundern.

Die Zehntausend wären also gut beraten, wenn
sie sich anderen Stoffen zuwendeten — der Stoff
ist ja gleichgültig. Vor der Tür steht die Teil-
nahme breiter Schichten an einem vernachlässig-
ten Stoff: dem Bildnis.
 
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