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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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vermehrt, hinter dem überall ein persönliches diszipli-
niertes Empfinden steht.

Für die Geschichte der deutschen Tafelmalerei er-
giebt sich eine naheliegende Disposition, die trotzdem
von Glaser zuerst konsequent durchgeführt worden
ist, und die schwerlich bei einem anderen Gebiete an-
wendbar wäre. Glaser scheidet nach Generationen.
Die Maler aus den Anfängen der Tafelmalerei, jene
des zweiten und dritten Jahrzehnts des fünfzehnten
Jahrhunderts, die Generation der vierziger Jahre, die
nach der Jahrhundertmitte thätige und die vom Ende
des Jahrhunderts erfüllt jeweils das gleiche Kunstwollen,
wo immer sie thätig gewesen sind. In den Niederlanden
ist jeder Fortschritt das Werk einer einzelnen Persön-
lichkeit, Jan van Eyck, Roger, Bouts, Goes, Geertgen.
Ihnen fügen sich die schwächeren Künstler, indem sie
die geprägten Themen wörtlich übernehmen und ihren
Vorbildern nur in der technischen Durchbildung nahe-
zukommen suchen. In der deutschen Kunst offenbart
sich der Fortschritt gleichzeitig an verschiedenen Orten,
immer als Leistung einer Generation. Bis zu einem
gewissen Grade widerstrebten die Anfänge der Tafel-
malerei dieser Klassifikation. In dem ersten Kapitel
ist ein Material vereinigt, das sich über dreiviertel
Jahrhunderte verteilt. Der Grabower Altar von 1379,
der Bamberger Altar von 1429, der Pähler Altar und
die Kreuzigung aus der Augustinerkirche in München
sind hier unter dem Begriff der Abhängigkeit von den
Traditionen der byzantinischen Kunst zusammengefasst,
der angesichts der künstlerischen Bedeutung dieser
Werke zu eng gefasst erscheint. Das Verhältnis dieses
in Deutschland einzigartigen monumentalen Stils zu
seinen Vorbildern, das durch Glaser sehr viel mehr
präzisiert worden ist, das Werden dieses Stils dürfte bei
noch genauerer Kenntnis zu einer neuen Scheidung
führen, die auch der zeitlichen Entstehung der Bilder
noch stärker Rechnung trägt.

Zahlreiche starke Einflusswellen verbreiten sich in
Deutschland im fünfzehnten Jahrhundert von Italien,
Burgund und den Niederlanden, deren Lauf die jüngere
Kunstforschung mit Eifer verfolgt hat. Die Wirklich-
keitsfreude der Maler giebt die alte Monumentalform
vom Ausgang des vierzehnten Jahrhunderts bald preis,
sie bewirktzunächst eine Veränderung derBildgestaltung
in bezug auf die räumliche Grundlegung bei Meistern
des zweiten und dritten Jahrzehnts, Moser, Francke,
dem Meister des Ortenberger Altars. Ihr folgt die
Durchbildung jeder Einzelheit in der Generation der
vierziger Jahre, der Multscher, Witz, Lochner, des
Erfurter und des Tucher Meisters, auf dem Fuss. Sie
hat sich die Gestaltung des menschlichen Körpers, der
in seiner Fülle das Bild beherrscht, zum Ziel gesetzt,
jede Bewegung des Körpers spricht mit eindringlicher
Kraft. Unter niederländischem Einfluss tritt in der
Folgezeit eine Lockerung des Bildgefüges, der Figuren-
komposition, ein Wechsel des Figurenideals ein, für

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die der Sterzinger Meister, Herlin, Isenmann, die köl-
nischen Meister nach Lochner und viele andere ge-
nannt werden. Kaum ein zweites Mal hat ein fremder
Stil alle deutschen Landesteile zu einer so entscheiden-
den Auseinandersetzung mit sich gezwungen und sein
Einfluss wirkt noch in den folgenden Generationen der
Schongauer, Hausbuchmeister, Bartholomäusmeister,
des älteren Holbein fort. Aber die innere Selbständig-
keit dieser Generation ist grösser, ein neues selb-
ständiges Schönheitsempfinden kommt in Schongauers,
des älteren Holbeins Werken, bei dem Bartholomäus-
und Peringsdörfer Meister empor und zu ihnen tritt im
Süden die überwältigend grossartige Kunst des an Man-
tegna gross gewordenen Pacher. „Um die Jahrhundert-
wende wurde in Deutschland die Persönlichkeit im
Kunstwerk befreit" und Grünewald ist der reinste Aus-
druck dieser Entwicklung. Er bedeutet die höchste
Steigerung der spätgotischen Kunst der Schongauer,
Bartholomäusmeister im Sinne stärksten seelischen Aus-
drucks. In dieser von Glaser mit überzeugender Klar-
heit entworfenen Stufenfolge, deren Grundzüge hier
nur roh skizziert werden konnten, liegt ein gut Teil der
Bedeutung des Buches. Die Entwicklung wird nicht nur
durch das Kunstwollen der verschiedenen Generationen,
durch die Einflüsse von Süden und Westen, sondern
daneben durch die Entwicklung des Altarbildes, das
Verhältnis zur Plastik, die Verdrängung des Tafelbildes
von der Altarmitte auf die Flügel bedingt.

Im sechzehnten Jahrhundert gewinnt das Schauspiel
noch an lebendigen Zügen. Das künstlerische Bewusst-
sein wächst. Nachrichten über den äusseren Verlauf des
Lebens der Künstler werden zur Erklärung ihrer Per-
sönlichkeit wichtig. Vor allem aber wachsen jetzt aller-
orten ungeahnt reiche Kräfte hervor, jede einzelne in
ihrer Entwicklung die Entwicklung von Generationen
spiegelnd. Zu den Grössten Grünewald, Dürer und
Holbein gesellen sich Cranach, Burgkmaier, Altdorfer
und Baidung. Glaser hat sie mit den anderen Künstlern
des sechzehnten Jahrhunderts, Bruyn, Schaffher, Am-
berger in einem Kapitel zusammengefasst und das
Ganze löst sich auf in eine Reihe von vortrefflich
gezeichneten Porträts, denen gemeinsame Züge nicht
fehlen. Einzelne dieser Gestalten wie der Cranach der
späteren Zeit werden, wenn man so sagen darf,
„rehabilitiert", nicht so sehr vor den Liebhabern
und Sammlern als vor den „Kunstschriftstellern" und
es geschieht so überzeugend, mit soviel Laune und
Liebenswürdigkeit, dass auch die literarischen Richter
Cranachs sich diesem Plaidoyer werden fügen müssen.
Mit grosser Gestaltungskraft wird die Erscheinung
des jüngeren Holbein in diesem Zusammenhange ein-
drucksvoll hervorgehoben. Der Verfasser fand hier
einen Künstler, an dessen Charakteristik er alle Vor-
züge seiner klugen und höchst prägnanten Diktion ent-
falten konnte. Ich wüsste nichts Besseres über Holbein
zu nennen. Winkler.

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