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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 5
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Waldmann, Emil: Rodin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0201

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Form und eine Monumentalisierung
des Charakteristischen, die sich nicht
wieder hinwegdenken und hinweg-
disputieren lassen aus der modernen
Kunst. Weil er vor der Welt der
Körper Erlebnisse empfand, wie sie
seit der Gotik und Michelangelo kein
Mensch in dieser Stärke mehr emp-
funden hatte, sah er in der Plastik
Dinge, die uns verloren schienen.
Er sah die Bewegung der plastischen
Form und der plastischen Oberfläche
im Licht, und weil er in seinem
Verhältnis zur Natur sich ausserdem
ein ungeheures Können erworben
hatte, schuf er gelegentlich Dinge,
die an die tiefsten seelischen Ge-
heimnisse rühren, so tief manch-
mal, wie sie nur Rembrandts Ge-
schöpfe ausdrücken. Vor seinen
Werken ist es nicht Phrase und
banaler Naturalismus, wenn man
von ihm sagt: sein Stein, seine
Bronze „lebt". Was zunächst nur
auf den Umriss komponiert scheint,
was, wenn man nicht den richtigen
Blickpunkt findet, wirr und ver-
zwickt aussieht, enthüllt sich schliess-
lich als Plastik im besten Sinne, als
heimlich gesetzmässiges Spiel zwi-
schen Last und Schweben, als Gleich-
gewicht aller Elemente, die in die
Tiefe versinken und aus der Tiefe
herausstreben. Und dieser Formen-
reichtum, der ein wohl empfundenes
System ist, wird in allen seinen Tei-
len so von einer einheitlichen Ge-
samtempfindung beherrscht, dass der
Betrachter willenlos hineingezogen
wird in den Strudel der Kräfte und dieses Hineingezogen-
werden als Teilnehmen an den Schwingungen der Seele
empfindet. Dergleichen Wirkungen der Plastik gab es
im neunzehnten Jahrhundert nicht und diese Beseelung
der plastischen Materie macht Rodin unsterblich. Dass
er an Äusserlichkeiten bisweilen scheiterte, ändert hier-
an so wenig wie die Thatsache, dass er durch viele
Schulen hindurchgegangen ist, dass er bald den Gotikern
und bald Carpeaux, dass er den Asiaten und Michel-
angelo und den Ägyptern ähnlich sieht. Das Wesent-
liche bei ihm ist doch immer neu, immer er selber.
Er hat von den Griechen, vor einem Abguss des „Dia-
dumenos" von Polyklet, das Geheimnis der Kurven im
Aufbau gelernt. Aber er denkt, wenn er an einer Statue
arbeitet, nur daran, wie er der Oberfläche die Frische
der Bewegung erhalten kann. Carpeaux hat er zu Ende

ANSELM FEUERBACH, PASTORALE
AUSGESTELLT BEI FRITZ GURLITT, BERLIN

gedacht, und von einem einfachen Steinmetzen hat er
das Geheimnis der Modellierung gelernt, das er in dem
schönen Satz formuliert: „Man muss die Modellierung
auffassen als die Spitze einer aus der Tiefe des Steins
auf den Beschauer zukommenden Bewegung." Das
alles, wo und was er gelernt hat, sind Äusserlichkeiten.
Die seelische Erschütterung aber, die von den Charak-
teren der „Bürger von Calais" ausgeht, die unheimliche
greifbare Symbolisierung eines Gedankens im „Viktor
Hugo", das erregende Pathos des „Balzac", das diesen
ganzen dämonischen Menschen umschreibt, und diese
Flut von Bewegung, in der seine Statuen stehen, und
diese sichere Gegenwart, in der seine Bildnisse leben —
alles dies ist über alle Richtungen und Stilwechsel hinaus
unvergänglich, weil es Äusserung einer grossen, stark
empfindenden Persönlichkeit ist. Emil Waldmann.

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