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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 6
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Waldmann, Emil: Janusköpfe der Genialität
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0222

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er in seiner Kunst Dinge vereinigte, die in dieser
restlosen Verschmelzung noch niemand vereinigte,
stärkste zeichnerisch-plastische Form mit schwebend-
ster, bewegtester malerischer Atmosphäre. Seine
Grösse liegt im streng Formalen. Wohin das schliess-
lich führte, das veranschaulichen nicht seine berühm-
ten Hauptwerke, wie die „Frauen in der Kirche."
Sie waren nur vorläufige Abschlüsse auf einem
Wege, auf dem es nicht mehr weiterging. Sondern
diese höchsten Möglichkeiten veranschaulichen ein
paar Köpfe aus seinen letzten Jahren, die da wieder
anknüpfen, wo er in seiner glücklichsten Zeit, damals
als er die „Dachauerinnen im Wirtshaus" malte,
aufgehört hatte und die nun einen neuen Maass-
stab für gute, für unerreicht und unerreichbar
gute Malerei aufstellen. Leibi war auf dem Gebiete
der reinen Malerei ein Phänomen, das grösste, das
wir erlebt haben. Aber neben ihm war und musste
Platz sein für einen Künstler, der eine neue, mit den
alten Meistern gar nicht mehr zusammenhängende
Naturanschauung besass. Das ist Liebermann.
Thöricht, den einen auszuspielen gegen den andren.
Ein Blick auf die Blütezeiten vergangener Epochen
der Kunst lehrt uns, dass sie beide, zu unserem
Glück, notwendig sind. Hätten wir nur den einen,
so wüssten wir nicht, ob wir wirklich auf einem

Höhepunkt leben.--

Was in Wirklichkeit, in der Naturgeschichte

der Kunst, ein Polygon mit unendlich vielen Ecken
war, wirkt in der Darstellung wie ein Kreis. Man
darf sich nicht verhehlen, dass die Dinge nicht so
einfach liegen, wie sie scheinen. Es ist natürlich
nicht so, dass von zwei Gipfelgenies das eine es
nur mit der Vollendung der Form, das andre es nur
mit dem Ausdruck des Gedanklichen oder Seelischen
zu thun hat. Dürer war zugleich ein Vollender der
Form, seiner Form. Was die Mitlebenden zunächst
und im besten Falle nur als notwendige und bedingte
Ausdruckssprache empfinden, gewinnt, manchmal,
für den Rückschauenden eine neue Schönheit. Und
umgekehrt wird bisweilen die einfache Wirklich-
keitskunst beeinflusst und mitgerissen von dem andren
Gesichte des Januskopfes. Die „Vorsteherinnen des
Altfrauenhauses" von Franz Hals reichen an seelischer
Kraft an Rembrandt heran. Und Leibi war der
Meinung, wenn er nur die Dinge so malte, wie sie
seien, so sei ohnehin die Seele mit dabei. Das ist
alles gewiss so, und die Kräfte durchdringen ein-
ander. Aber es kommt darauf an, was in der
Naturanschauung des Einzelnen im SchafFensprozess
jedesmal das Vorwaltende war. Achtet man auf
diese Fragestellung, so wird man zu der Meinung
gedrängt, dass es sich bei dieser Erscheinung und
ihrer stetig erneuten Wiederholung nicht um Zu-
fall oder Laune der Natur handelt, sondern um
eine bestimmte Form ihrer Ökonomie.

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