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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 8
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Scheffler, Karl: Elternbildnisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0305

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Moment. Sehr lehrreich ist die Beobachtung, dass
in dieser Weise die revolutionär vorgehenden
Künstler, die sich von der Herrschaft des Gegen-
standes grundsätzlich befreit haben, gefördert werden
durch eine besonders warme Liebe zu bestimmten
Menschen und Gegenständen, dass die konventio-
nellen Künstler aber, die ganz subaltern unter
dem Einfluss der Gegenstände sind, in ihren
Elternbildnissen, also eben dort, wo auch sie lieben
und in stärkster Weise von sciten des Herzens
interessiert sind, feiner und formal grösser er-
scheinen als in andern Werken. Also ist es die
Liebe, die hier wie dort die Kräfte steigert, wenn
auch in ganz verschiedener Weise, die einmal be-
schränkend wirkt und ein andermal anfeuernd,
jedesmal aber erhöhend. Mit dieser Erkenntnis
lässt sich manches erklären. Wenn die Maler der
letzten Jahrzehnte ihr Bestes in der Landschaft, dem
Stilleben und, bedingter, in einer rein zuständlichen
Menschendarstellung geleistet haben, so ist damit
ohne weiteres der Beweis erbracht, dass sie diese
Dinge, dass sie die sichtbare Natur am meisten ge-
liebt haben. Wenn dagegen die Maler in der
ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vor
allem als Darsteller religiöser Motive und historischer
Situationen dastehen, so ist damit bewiesen, dass sie
in erster Linie die Ideen der Geschichte geliebt
haben — mehr als die sichtbare Natur. Der Maler
stellt dar, was er liebt, und er stellt am besten dar,
was er am besten liebt.

Dieses ist es, was den Elternbildnissen durch-
weg etwas Klassisches giebt, soweit die Künstler
bereits im vollen Besitz ihres Könnens bei Lebzeiten
ihrer Eltern gewesen sind. In Runges Lebenswerk
stellt das monumentale Elternbildnis mit seinen
Studien und Varianten den festen Punkt dar in der
etwas schwankenden Produktion. Und in eines
anderen Hamburgers, in Oldachs Werk, überragen
die Bildnisse von Vater und Mutter alle anderen
Arbeiten. Das schönste Bild, das wir von Eysen
kennen, ist ein Bildnis seiner Mutter. Und man
weiss, dass Feuerbachs Mutterbildnis seine stolzesten
und anspruchsvollsten Kompositionen in den Schatten
stellt. Eine wichtige Rolle spielen Porträts der
Mütter in Oeuvre von so verschiedenen Künstlern
wie Rethel und Rayski. Menzel hat seine Mutter
in einer seiner genialsten Jugendzeichnungen ver-
ewigt, wie ihm denn überhaupt am besten immer
die Bildnisse seiner Angehörigen, der ihm Ver-
trauten gelungen sind. Dasselbe gilt von Lieber-

mann. Das Doppelbildnis seiner Eltern gehört zu
seinen klassischen Werken, und die Familien-
zeichnungen bilden eine Gruppe für sich in der
langen Folge der Zeichnungen. Es ist darin eine
Intimität, die anderen Bildnissen und Bildnis-
zeichnungen Liebermanns in diesem Grade nicht
eigen ist. Bekannt ist Corinths Bildnis seines
Vaters. Er erhebt sich darin zu einer Sachlichkeit
wie kaum jemals bei anderer Gelegenheit. Und
auch vor dem schönen Mutterbildnis Slevogts, das
hier abgebildet ist, hat man den Eindruck, als hätte
der Künstler ganz vom Objekt das Gesetz der Dar-
stellung empfangen. Man könnte noch viele Namen
nennen, auch die ausländischer Maler — man
denke nur an Whistlers berühmtes Mutterbildnis —;
sie alle würden aber das allgemein Angemerkte
nur bestätigen. Man könnte auch einige Namen
sonst recht schwacher Maler nennen, die in den
Bildnissen ihrer Eltern gewissermassen über sich
selbst hinausgegangen sind. Und man könnte end-
lich untersuchen, welchen Gegenständen gegenüber
unsere jüngsten Maler am glücklichsten sind, das
heisst also, wo sie zumeist mit ihrer Liebe beteiligt
sind. Man würde zu merkwürdigen Ergebnissen
kommen. Dafür ist es aber noch etwas früh an
der Zeit. Es hat ja. auch manches Jahrzehntes be-
durft, bevor es klar wurde, inwiefern die Eltern-
bildnisse im Lebenswerk unserer neueren Meister
hervortreten und einen besonderen Ehrenplatz in
der Geschichte der Malerei beanspruchen. Die
Thatsache aber ist so deutlich, dass man die Gruppe
der Elternbildnisse neben der der. Selbstbildnisse
nennen darf. Und dringt man tiefer ein, so
zeigt es sich, dass die Mütter vor den Vätern noch
etwas an Liebe und Verehrung von seiten der
Maler-Sühne voraus haben.

So neu und unerhört das Neue einer Kunst
auch immer erscheinen mag, wie auchdieProgramme
lauten und die Grundsätze formuliert werden: am
Ende zeigt es sich, dass uralte Richtsätze ihr Recht
behalten. Einer dieser Sätze ist der, der da anhebt:
„Und wenn ihr mit Engelszungen redet und hättet
der Liebe nicht . . . Wer aber die Liebe hat,
nicht die eitel sich selbst bespiegelnde undsentimental
sich selbst betrügende, sondern-die rein und stark
aus der Sache fliessende, der braucht, wenn er
sonst berufen ist, um die Form nicht eben sehr
besorgt zu sein. Die Liebe bringt stets Kunst-
formen hervor, die die ganze Menschheit früher
oder später versteht und würdigt.

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