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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 8
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Weisbach, Werner: Matthias Grünewald, [2]: Formales und Psychologisches
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0326

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Zeiten ins Auge: die höfische Literatur des
Mittelalters, Dürer und Holbein, Goethe. Wer
nur das Negative an Grünewald sieht, wird ihm
Form- und Masslosigkeit vorwerfen. Es ist das
„Barbarische", das man vom klassischen, puris-
tischen und akademischen Standpunkt stets an den
grössten Schöpfungen des germanischen Genius
getadelt hat, und solche Urteile machten ja auch
vor einem Shakespeare und Rembrandt nicht
Halt. Eine klassische und akademische Kunst
hat etwas Rationalisierendes. Und je akade-
mischer eine Kunst wird, um so rationalistischer
wird sie.

In dem deutschen Geist liegt, darf man wohl
sagen, ein besonderer Hang zum Irrationalen, der
auf diese oder jene Weise nach kündbarer Gestal-

tung strebt. Wie stark Grünewald auf das Irratio-
nale ausgeht, hat unsere Darstellung gezeigt. Darin
liegt ein Stück der Eigenart und Grösse seiner Kunst.
Man soll sich Formlosigkeit nun aber nicht immer
nur als Vorzug anrechnen und mit einer besonderen
Tiefe des Gefühls rechtfertigen. Viktor Hehn sagt
in seinen „Gedanken über Goethe" einmal: „In
Deutschland hat die schöne Form immer verdächtig
gemacht." Was wir an Grünewald bewundern, ist
nicht eine alles umfassende, gleichsam mystische
oder magische Verkörperung des deutchen Gesamt-
wesens, sondern eine der zahlreichen Kristallisationen,
in die sich der deutsche Geist gespalten und die eine
originale und grossartige, aber auch durch verschie-
dene Bedingtheiten eingeschränkte Gestalt angenom-
men hat.

MATTHIAS GRÜNEWALD, HANDSTUDIE FÜR DIE FIGUR DES HL. SEBASTIAN

COLMAR

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