ziehen sollte. Es hat lange genug gedauert, bis
man ein ebenso leichtgläubiges wie kunstfremdes
Publikum dazu erzogen hatte, mit dem Verstände
zu sehen anstatt mit den Augen. Es ist wahr, dass
diese Augen insgemein ebenso blind sind für Kunst,
wie die Ohren taub für Musik. Nur dass die
Menschen das eine niemals glauben wollen, während
Wer die Rezepte der neuen Kunstkennerschaft
einmal erlernt hat, dem fällt es nicht schwer, sich
in einer Ausstellung zu orientieren. Er weiss, was
die Impressionisten wollen, und was die Expressio-
nisten wollen. Was der einzelne kann, ist dem
gegenüber ziemlich gleichgültig. Ist das ßild in
dem einen oder anderen Schubfache untergebracht,
HANS PURRMANN, GLADIOLEN 1915
sie das andere unbeschämt eingestehen. Aber wer
einmal gelernt hat, ein Kunstwerk zu „verstehen,"
ohne dazu seine Augen bemühen zu müssen, sagt
sich nur schwer von dieser bequemen Methode
scheinbarer Kunstkennerschaft los, und darum wird
es noch mehr Mühe brauchen, das Publikum der
lieb gewordenen Schlagworte zu entwöhnen, als es
gekostet hat, sie ihm beizubringen.
so ergiebt sich alles andere von selbst, und der glück-
liche Kenner kann dem Unwissenden gegenüber
mit seinem Kunstverständnis prunken, da die fest-
stehenden Formeln seiner Methode ihn nicht leicht
im Stiche lassen. In Schwierigkeiten kann er nur
geraten, wenn er bei der ersten Fragestellung
strauchelt, wenn er nicht darüber ins reine kommt,
ob ein Künstler zu den Impressionisten oder den
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man ein ebenso leichtgläubiges wie kunstfremdes
Publikum dazu erzogen hatte, mit dem Verstände
zu sehen anstatt mit den Augen. Es ist wahr, dass
diese Augen insgemein ebenso blind sind für Kunst,
wie die Ohren taub für Musik. Nur dass die
Menschen das eine niemals glauben wollen, während
Wer die Rezepte der neuen Kunstkennerschaft
einmal erlernt hat, dem fällt es nicht schwer, sich
in einer Ausstellung zu orientieren. Er weiss, was
die Impressionisten wollen, und was die Expressio-
nisten wollen. Was der einzelne kann, ist dem
gegenüber ziemlich gleichgültig. Ist das ßild in
dem einen oder anderen Schubfache untergebracht,
HANS PURRMANN, GLADIOLEN 1915
sie das andere unbeschämt eingestehen. Aber wer
einmal gelernt hat, ein Kunstwerk zu „verstehen,"
ohne dazu seine Augen bemühen zu müssen, sagt
sich nur schwer von dieser bequemen Methode
scheinbarer Kunstkennerschaft los, und darum wird
es noch mehr Mühe brauchen, das Publikum der
lieb gewordenen Schlagworte zu entwöhnen, als es
gekostet hat, sie ihm beizubringen.
so ergiebt sich alles andere von selbst, und der glück-
liche Kenner kann dem Unwissenden gegenüber
mit seinem Kunstverständnis prunken, da die fest-
stehenden Formeln seiner Methode ihn nicht leicht
im Stiche lassen. In Schwierigkeiten kann er nur
geraten, wenn er bei der ersten Fragestellung
strauchelt, wenn er nicht darüber ins reine kommt,
ob ein Künstler zu den Impressionisten oder den
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