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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 16.1918

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Heft 12
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Scheffler, Karl: Wie ein Bildmotiv sich wandelt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4745#0497

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bestrebt hat, dem Motiv eine neue menschliche
Symbolik abzugewinnen und es mit einer gewissen
poetischen Absichtlichkeit zu monumentalisieren.
Ähnlich so, wie Segantini es in seinem Bild „Die
beiden Mütter" gethan hat. Denn auf diesem Punkt
braucht man nicht mehr allzuviel Gewicht auf die
Wiege zu legen. Die Beziehungen zwischen Mutter
und Kind sind bei Liebermann schon gelöst oder
sie sind nur noch ganz mittelbar vorhanden. Denkt
man aber die Wiege fort, bleibt nur eine still
arbeitende Frau, so dehnt sich der StofFkreis gleich
ins Unabsehbare; und doch ist die Tradition auch
in diesem Fall nachweisbar.

Zuweilen sind sich die modernen Maler des
inneren Zusammenhanges mit dem alten Motiv
bewusst geblieben. Wie sich dieses Bewusstsein
äussert, zeigt das Bild Fritz von Uhdes. Darin wird
— eben infolge der Bewusstheit — eine Tendenz
sichtbar. Dem Genrehaften ist wieder etwas Reli-
giöses absichtsvoll verbunden worden. Dieses Reli-
giöse ist nicht kirchlich, sondern es ist sozial auf-
aufgefasst. Höchst bezeichnend nennt Fritz von
Uhde sein Bild wieder „Die heilige Familie". Er hat
an Rembrandt gedacht; aber nicht wie Liebermann
und auch nicht wie Millet, sondern unmittelbarer
und darum unselb-
ständiger. Seine Dar-
stellung ist ein Stück
Programmalerei.

Bilder, die auf Ab-
sichten zurückgehen,
wie das Bild Fritz von
Uhdes, büssen naturge-
mäss an künstlerischem
Wert ein, was sie an
Programmatik gewin-
nen. Die Naivität wird
aufgeopfert, und damit
wird die formende
Kraft geschwächt. Uh-
des Darstellung steht
künsterisch tiefer als
die Liebermanns. Und
die unmittelbare Nach-
ahmung alter Vorbil-
der, in einem konven-
tionell kirchlichen Sin-
ne, wie sie in dem
Weihnachtsbild Tho-
mas zur Thatsache ge-

worden ist, erreicht wiederum nicht den Wert des
Werkes von Uhde. Thoma giebt wenig mehr als
eine Rekonstruktion. Wie edel die Absicht auch
sein mag, die starke Wirkung bleibt aus. Wieder-
holungen des längst Vergangenen sind niemals
Wiederbelebungen. Lebendigkeit ist nur in dem
von der Zeit und mit der Zeit vollständig und oft
bis zur Unkenntlichkeit verwandelten Motiv, weil
nur so Notwendigkeit darin ist. So gewiss es ist,
dass der alte Künstler dem modernen durch eine
natürliche StofFbeschränkung weit überlegen war,
so gewiss ist es auch, dass sich der Künstler unserer
Zeit durch Aufnahme der alten Motive der grossen
Form der Alten nicht wieder nähern kann und dass
er am grössten ist, wenn er das Schicksal seiner
Zeit zu seinem eigenen Schicksal macht.

Dieses ist nur ein Beispiel, wie ein Motiv sich
wandelt. Es giebt mehrere. Noch aufschluss-
reicher ist es vielleicht, zu verfolgen, wie sich das
Motiv der Madonna, die das Kind im Arm trägt
oder auf dem Schoss hält, im Laufe der Jahrhun-
derte umgebildet hat, bis es uns heute als Bildnis-
gruppe von Mutter und Kind entgegentritt. Ferner
giebt es rein formale Motive — Körperstellungen,
Beiglinien, Baumsilhouetten und anderes — die

durch alle Jahrhun-
derte und alle Stile
wie nach einer stillen
Übereinkunft dahin-
gehen. Eine Darstel-
lung auch dieser Me-
tamorphosen aber wür-
de für dieses Mal zu
weit führen. Es mag
ein anderes Mal davon
gesprochen werden.
Diese Hinweise genü-
gen, um zu zeigen,
wie wir in unserer
Kunst immer noch
umgeben sind von
uralten Überlieferun-
gen, meistens ohne es
zu wissen, dass alles
„schon einmal ge-
dacht worden ist",
dass es aber darauf
ankommt, es in voller
Selbständigkeit „noch
einmal zu denken".

J. DANHAUSER, MUTTERLIEBE

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