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OZZIFrmiletoN.^WD

^rovinzial-lLorresji ondenz.

Tcmmler an Schwcmiickc.

Was ist denn loS? Keinen Kladderadatsch nicht? Wisien Sie, was
das für uns heißt in der Provinz? Das beißt achttägige geistige HungerSnoth
und Mißärndte! — Sie lachen? DaS glaub' ich, Sic können lachen! Sie
baben andere Kunstgenüsse und Bildungsanstalten. Sie haben die Lucca und
Aschenbrödel und Niciuann und Renz — Panem et circcnscs, wie der
Lateiner sagt — die Sarolta und Cers! Aber waS haben wir? Wir
haben uns, wenn Sic auch zehnmal sagen: Haben Sic sich nicht

Und nun kommt er Sonntags nichi! Nun sitzen wir in den Weinstuben und
in den Bierstuben und in den AmtSlocalen und aus den Bahnhöfen, und Zeder
fragt den Andern: Warum mag er wohl confiscirt sein? — Wegen der De-
possedirtcn in den Ostseeprovinzen! — sagt Einer. Da kann ja die Re-
gierung keine DIscussion zulasten! Denken Sie doch nur: Witwen — Waisen

— Familienväter — einziger Sob» — Krüppel — Nolhstand — HungerSnoth

— doppelte Stcucrn — alles für Hietzing; und nun noch ein ausrcgendcS
Bild dazu — das geht ins Blut!

Unsinn! — sagt ein Anderer. Das steht ja doch in allen Zeitungen und
ist nicht zu unterdrücken. Aber Hesscn-Darinstadt — Dalwigk! Ein
leiser Druck anno 66, und er war nicht mehr, und jetzt zum Dank Hohn dafür!

Still! Still! — sagt ein Dritter! Da sind sie doch zu taktvoll, daS
bringt er nicht. Aber er hat vielleicht etwas über daS Chassepot gesagt?

Na hören Sic — sagt ein Vierter — daS wäre ja doch noch schöner,
wenn.dai Wort Chassepot nicht mehr genannt werden dürste!

ES ist ein Wunder, daS der Papst gesegnet hat — sagt ein Sechster.
Wisten Sie denn nicht, warum Kladderadatsch jetzt aus dem Molken-

Weil ihn ein Oeflerreichischer Bischof denuncirt hat!

Auch da» ist nicht der Grund der Confiscalion — sagt ein Siebenter.
Wenn die Herren die Zeitungen ausmerksam lesen würden, so müßten Sic'S
wisten: Napoleon will cS nicht mehr!

Aber waS denn?

Er will daS letzte halbe Jahr noch Ruhe haben!

DaS glaub' ich auch — sagt ein Achter — denn von dem, waS eigentlich
jetzt in Frankreich vorgeht, wisten ja nur wenige Menschen. Der Nothstand
der arbeitenden Elasten ist ja dort noch viel schlimmer, alS bei uns. Ein ganz
kleiner Hause Menschen hat daS ganze Land ausgesaugt, Millionen sind in die
Hände der Beichtväter der Kaiserin-

Still! Still, meine Herren! — sagt ein Neunter. Wir werden ei , >
früh genug erlebe»! Wisten Sic. waS daS heißt, wenn die Fraiucb» 7

>»»-»»>» ,-«-»! ' ""“t“

Sie meinen die alte Französische Kochkunst von 1788? ggir
sie wieder zu schmecken kriegen!

Aber, meine Herren — sagt der Zehnte, der cS ohnehin nicht
kann — habe» denn nicht damals selbst ein Schiller undHcrdcr tieF, 7
sische Revolution bewundert, weil sic noch den Ursachen nabe standen? UirtT'
man nicht erst später durch verfälschten Geschichtsunterricht die großen

teure, welche die Menschheit von ihrem KrcbS-ich vermag tj nicht t

geleimten Couvert, auzuvertraucn, was der Zehnte, der eS obnehin »ich! „7
tragen kan», alles sagte.

Was aber ist die Moral von den. Ganzen? Daß die Consiscati-n di
Mensche» zum Denken, zum Ucbcrlcgen, zum — Sclbstkladderadatsch
bringt, waS weit gefährlicher werden kann, alS daS, waS nur gcsähilich schein,
indem dann auS Spaß Ernst wird.

Schreiben Sic mir al,o, lieber Schwennike, was da» für eine nt« (j(.
sindung ist, wo die Ventile alle geschlosten werden sollen, damit eine CSiptofiCB
stallfindet, indem srühcr gerade das Unigekchrte statisand, womit ich bin

Ihr ^

ilus der Terlia.

Schüler fließ aui Cäi-r» „<ie bciio Galileo“). .Omnibus completis Caesar
summa diligentia Homam contcmlit.“

Lehrer. Nun, übersetzen Sie.

Schüler. Der Omnibus war bereits complet, als sich Louis Napoleon
aus der Diligence nach Rom flüchten wollte.

Lehrer. Wenn Sie noch gesagt hätten: sich durch Rom 'raus reißtu
wollte! Aber auch daS selbst — wie abgeschmackt! Setzen Sit sich!

In das StammGudj eines Dejiossedirteii.

Je rücksichtsloser du, je rücksichtsvoller dein - ^

Die Negerrcpublik Liberia ist der erste überseeische Staat, weiter
den Norddeutschen Bund anerkannt hat. Der Präsident soll der AnnkenmuizS-
Urkunde ein Schreiben beigelcgt haben, dcste» Eingang lautet:

»Seht, wir Wilden sind doch beßreMenschen!'

Oie OerlMmsse der Familie Äimtze.

Eine Volkszählungsstudie,
nach der aiiltlichen ZählniigSliste.

ES wird uns wohl niemand der Klatschsucht zeihen, wenn wir im Folgen-
den die Vcrhällnistc einer Familie, welche in diesm Tagen allen Bewohnern
des Vaterlandes alS Muster vorgestellt wurde, einer näheren
Beleuchtung unterziehen. Kan» man doch dreist behaupten,
daß noch nie eine Familie bürgerlichen Standes, über die,
> außer den allgemeinsten Daten, nichts weiter amtlich constalirt
in gleich bedeutendem Maße daS öffentliche Jntereste e

Da ist zunächst Vater Kuiitzc, 46 Jahre alt, cva,

) gelischtr Consession und keines Zeichens ei» Buchhändler. ES
" c unS lieb, wenn Kuntze sich einen anderen Berus e
wählt hätte, da wir gerade für Buchhändler nicht übermäßig
große Sympathien hegen. Am Ende muß aber Jeder selbst am bcßlcn wistc»,
wcsür er sich zu entscheiden hat.

Ist Kuntzc Sortiments-, Verlags- oder stiegcnder
Buchhändler? Hat er vielleicht ein antiquarisches HauSslur-
geschäst? Alle diese Fragen läßt die amtliche Muster-
ZählungSliste unbeantwortet. Unierc Vermnthung, sie
, wir später begründen werden, ist die, daßKuntze a»S ci>

!\ kleinen Verlag gottloser Schristen seine Nahiung zieht.

Kuntzc'o Ehefrau. Amalie sgeborne?) tritt uns
als eine rüstige Siebenunddreißigerin entgegen. Wie
sic Kuntze kennen gelernt, und cb sie ihm Geld zugtbracht
hat, darüber können wir leider nichts verrathen. Gewiß
hat sie cS nicht leicht, besonders wenn Kuntze — waü jedoch amtlich nicht
ecnstatirt ist — mitunter trinken sollte.
 
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