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Kleinpaul, Rudolf; Heinrich Schmidt & Carl Günther [Contr.]
Neapel und seine Umgebung: mit 142 Illustrationen — Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.55172#0072
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Kosten gar nicht zu gedenken, die der Leichenzug und die feierliche Bestattung selber macht
und welche dem Individuum ebenfalls durch die Gesellschaft abgenommen werden.
Die Confraternitäten sind in diesem Sinne durchaus als moderne Associationen zu betrachten,
die es durch Vereinigung vieler kleiner Kräfte einer einzigen grossen Kraft gleich thun: wie die
Miethkaserne zu einem Palast, wie der Omnibus zu einer Equipage, so verhält sich die Gruft
einer Brüderschaft zu der Grabkapelle einer adeligen Familie. Uebrigens darf man wohl behaupten,
dass die besagten Institute, Reste einer Zeit, wo das religiöse Leben noch in seiner Blüthe stand
und die Schwachen noch nöthig hatten, sich gemeinsam gegen einzelne Tyrannen zu vertheidigen,
in der Gegenwart ihre Bedeutung verloren haben und eben anfangen, von rein wirthschaftlichen
Associationen, den Versicherungsgesellschaften, den Gewerkvereinen und den Unterstützungskassen
verdrängt zu werden.
Sie stammen aus dem dreizehnten Jahrhundert, der Periode der italienischen Bürgerkriege,
wo die Flagellanten oder Geisselbrüder öffentliche Bittgänge abhielten und in Haufen von mehreren
Tausenden mit Fahnen und Kreuzen von Stadt zu Stadt und von Land zu Land zogen. Damals
thaten sich Handwerker und Leute aus dem Volke zusammen, um fromme Uebungen abzuhalten
und Werke der Barmherzigkeit zu verrichten, wobei sie eine Kirche oder ein Oratorium zu ihrem
Centrum wählten. Sie schaarten sich unter ein Banner von einer bestimmten Farbe (Gonfalone);
dieselbe Farbe hatte der Schleier, der vom Crucifix herabhing, und sie trugen sie auch selbst.
Ihr Gewand war ein sogenannter Sack von grober Leinwand (Sacco), daran eine spitze Kapuze
befestigt, welche sie bei Processionen und Leichenbegängnissen über den Kopf und das Gesicht zogen
(Cappuccio). Nach diesem Sacke nannte man sie wohl auch selbst Sacconi. Ueber dem Sacke
hatten sie ein kurzes Mäntelchen (Mozzetta), auf das ein kleines Schild mit dem Bilde des Schutz-
patrons genäht war. In diesem phantastischen Aufzuge sieht man sie noch jetzt, nicht blos in
Neapel, sondern auch in andern italienischen Städten, wo ebenfalls dergleichen Laienverbindungen
bestehen, bald Confraternite, bald, wie die jüdischen Synagogen, Scuole oder Schulen genannt;
hinter ihnen gehen die blaugekleideten Armen des heiligen Januarius her, die, weil sie ein schwarzes
Fähnchen an der Spitze eines langen Kreuzes tragen und bei keinem Trauerzuge fehlen, Lancieri
della morte, Lanzenreiter des Todes heissen.
Wenn man der Strada Nuova di Capodimonte, der Fortsetzung des Toledo, folgt und jenseit
des Viaductes, welcher das Viertel der Sanitä überschreitet, links hinabgeht, so erreicht man nach
wenigen Minuten das grosse Spital San Gennaro de’ Poveri, wo arme alte Leute, auch Waisen
verpflegt werden; hinter demselben befindet sich der Eingang zu den neapolitanischen Katakomben:
sie sind in die Berge, an welche sich Neapel gegen Norden anlehnt, eingehauen und in härterem
Gestein ausgeführt, als die römischen, daher weiter und grossartiger. Hier, in einer kleinen Kapelle,
wurde der Leichnam- des heiligen Januarius am 16. Mai des Jahres 420 vom Bischof Johannes I. bei-
gesetzt, und die Kapelle nachmals (8. Jahrhundert) in eine Kirche des heiligen Januarius verwandelt.
Wir erwähnten bereits, dass der heilige Leib später von hier nach Benevent gewandert und eben
nur sein Name, San Gennaro dd Poveri, übrig geblieben ist.
Die Armen des heiligen Januarius bilden den Schluss jedes Leichenzuges in Neapel; sie
gehen nicht nur vom Trauerhause bis zur Kirche, sondern auch von hier zum Campo Santo mit.
Der heilige Januarius, der das Kind mit seinem Kuss geweckt, der den Namensvetter als guter Patron
ein langes Leben hindurch behütet hat, er sendet ihm zuguterletzt noch einen Abschiedsgruss. Einen
Abschiedsgruss aus den Katakomben, bestellt durch arme, alte Leute. Gennariello! Gennariello,
komm zu deinem Meister! — Und wir wollen hoffen, der heilige Januarius wird mit seinem Pflege-
befohlenen nicht so viel Noth haben als Sanct Joseph.

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