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Kleinpaul, Rudolf; Heinrich Schmidt & Carl Günther [Mitarb.]
Neapel und seine Umgebung: mit 142 Illustrationen — Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.55172#0076
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II.

Beim Eintritt in die Festungsmauern erblickte Carasale das Kloster San Martino, welches
den niedrigsten Gipfel des Erasmushügels krönt und nach welchem das Castel Sant’ Elmo bis in’s
fünfzehnte Jahrhundert Castello di San Martino hiess. Es war ein Karthäuserkloster, die Certosa di
Napoli, dem heiligen Bischof Martin von Tours geweiht, der am Ende des vierten Jahrhunderts,
längst vor dem heiligen Bruno, ja, vor dem heiligen Benedict bei Marmoutiers, auf einem ab-
schüssigen Felsen am Ufer der Loire, eine Art Karthause gegründet hat: Martin von Tours und
Cassianus von Marseille waren die ersten Christen des Abendlands, welche die bis dahin zerstreuten
Eremiten in gemeinsamen Häusern vereinigten, und diese Häuser wurden nicht nur in Frankreich,
sondern auch in Italien, England und Spanien nachgeahmt, bis Benedict von Nursia im Jahre
529 auf dem Monte Cassino bei Neapel als auf einem Sinai ein Kloster mit eigener Ordnung
und damit das abendländische Mönchswesen überhaupt begründete; das eine der beiden Oratorien,
welche der heilige Benedict in dem Hain des Apollo baute, trug den Namen des heiligen Martin.
Der Stifter des Karthäuserordens ist der heilige Bruno, der sich 1086 in den unwirthlichen Bergen
in der Gegend von Grenoble, am Fusse des Grand Som und der sogenannten Chartreuse mit sechs
Freunden niederliess, und der heilige Martin kann um so eher als sein Vorläufer betrachtet werden,
als der Schwerpunkt seiner Wirksamkeit ebenfalls in Frankreich lag. Daher nehmen auch die
Karthäuser nächst dem Namen Bruno gern den Namen Martin an; zum Beispiel hiess der elfte
General des Ordens, der ihm sein Wappen gab, Martin. Dieses Wappen ist eine Kugel, auf
der ein Kreuz steht, dem Reichsapfel entsprechend, dazu die Devise: STAT CRUX DUM
VOLVITUR ORBIS.
Warum wir dem Baumeister Carasale auf seinem Wege zum Gefängniss gerade die Karthause
vor Augen halten? Zunächst weil er recht viele Leidensgefährten darin hat. Die Karthäuser
(Certosini) sind auch Gefangene. Jeder Mönch wohnt in einer besonderen Zelle (Laura), die mit
einem Gärtchen verbunden ist und die er wöchentlich nur einmal verlassen darf. Sie enthält ein
Strohlager mit einem Kissen und einer groben, wollenen Decke. Um nicht aus der Zelle hinaus-
gehen zu müssen, bereitet sich der Karthäuser seine Mahlzeit selbst: dreimal in der Woche isst
er nur Wasser und Brot, die andern Tage Gemüse, das er in dem Gärtchen hinter seiner Zelle
baut und etwas Käse; Fleisch darf er selbst im Krankheitsfalle nicht zu sich nehmen. Nur an
Festtagen findet ein gemeinschaftliches Essen statt, aber ohne die Würze einer geselligen Unter-
haltung, denn zu den gewöhnlichen Gelübden der Armuth, der Keuschheit und des Gehorsams
kommt noch die Beobachtung des beständigen Stillschweigens mit geringen zeitweiligen Unter-
brechungen am Donnerstag und an den Kapiteltagen. In einer Kapelle der Kirche sieht man
ein Portrait des heiligen Bruno von Massimo Stanzioni: es fehlt ihm nichts weiter, bemerkte der
Fürst von Waldeck, als dass es sprechen konnte. — In dem Falle, versetzte der Cicerone, ist es
•vollkommen, denn es könnte nicht reden, ohne die Regel zu verletzen. Der Karthäuser darf auch nicht
predigen: nur mit der Hand soll er Gottes Wort verkündigen, darum wird ihm ein Werkzeugkasten
und Schreibmaterial geliefert, um Bücher abzuschreiben. Seine Kleidung ist weiss: auf dem blossen
Leibe trägt er ein härenes Hemd mit einem Gürtelstrick (Lompar), darüber einen weissen Tuch-
rock mit einem Ledergürtel; der Schulterkragen, in diesem Orden Gugel, sonst Scapulier geheissen,
hängt vorn und hinten tief hinab und wird unter den Hüften durch zwei breite Bänder vom selben
Stoffe zusammengefasst; an der Gugel ist.die weisse Kapuze befestigt. Nur beim Ausgehen
haben die Karthäuser einen schwarzen Chorrock (Cappa), so dass man sie leicht mit den Domini-
canern verwechseln kann. Fünfzig Jahre nach dem Tode des heiligen Bruno schrieb Petrus Venera-
bilis, die Karthäuser hätten, um jedwede Eitelkeit abzuhalten, unter allen Mönchen die, schlechtesten

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