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fröhlichem Verlangen die rmchen der Mutter entgegen; der heilige Joſeph blickt über
Marias Schulter auf das Kind. Selbſt in den an und für ſich mehr oder weniger
ſchwachen Nachbildungen können wir ahnen, welchen Schatz von Poeſie Raffael
in diefe wieder rein menſchlich aufgefaßte, aber in großen, bewegten Linien kom-
ponierte Darſtellung gelegt hat. Wie vollſtändig Raffael ſich mit den Anſchauungen
ſeiner Zeit in Kbereinſtimmung befand, indem er die höchſte menſchliche Schönheit
als Ausdrucksmittel für das Göttliche annahm, davon geben die Worte des
Vaſari einen Beweis, der bei der Beſchreibung dieſes Bildes ſagt, daß der Knabe
„eine ſolche Schönheit beſitzt, daß er in den Zügen des Kopfes und in allen
Gliedern beweiſt, daß er der wahre Sohn Gottes iſt“. Das Erwachen des Kindes
iſt in unübertrefflicher Weiſe der Wirklichkeit abgelauſcht. Ein köſtliches Studien-
blättchen im Britiſchen Muſeum (Abb. 71) erzählt uns davon, wie Raffael einmal
am Bettchen eines Kindes geſeſſen und mit ſicherer Meiſterhand die wechſelnden
Bewegungen des eben erwachten hilfloſen Geſchöpfchens niedergeſchrieben hat. Die
am weiteſten ausgeführte unter dieſen Naturſkizzen hat ihre Verwertung gefunden
in der ſogenannten „Bridgewater-Madonna“, die ſich in der nämlichen engliſchen
Privatſammlung befindet, welche die „Madonna unter dem Palmbaum“ beſitzt.
Es iſt dies eins der wenigen Marienbilder aus Raffaels römiſcher Zeit, die ſich,
gleich den Madonnen des Hauſes Tempi, des Hauſes Orleans, des Hauſes
Colonna, auf die Schilderung des frohen, traulichen Beiſammenſeins von Mutter
und Kind beſchränken. Solche Einfachheit und Lieblichkeit des Motivs iſt auch
einem Gemälde eigen, das als „Madonna mit dem ſtehenden Kinde“ oder, nach
einem in der Ferne des landſchaftlichen Hintergrundes ſichtbaren Bauwerk,
als „Madonna mit dem Turme“ bezeichnet wird. Das Gemälde hat lange als
verſchollen gegolten; 1906 iſt es in die Nationalgalerie zu London gekommen,
leider in einem Erhaltungszuſtande, der den Genuß ſeiner großen Schönheit

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