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Dem Inhalte nach kennt ja jeder dieſes höchſte Bild der Liebe, dieſes Eins-
ſein von Mutter und Kind. Aber das Original im Pittipalaſt muß man ſehen,
um ganz zu begreifen, daß dieſes Bild der reinſten Menſchlichkeit nicht durch die
glaubensinnigen frommen Blicke und gefalteten Händchen des Johannesknaben
allein eine religiöſe Bedeutung bekommt, ſondern daß es durch die Weihe der
höchſten künſtleriſchen Schönheit zum Überirdiſchen erhoben wird. Dabei ſieht
das Bild ſo wunderbar einfach und natürlich aus, als könnte es gar nicht anders
ſein, und wir begreifen, wie ſich die kindliche Sage hat bilden können, Raffael
hätte einſt dieſe Gruppe unmittelbar nach dem Leben gezeichnet, auf der Straße,
auf den Boden eines Faſſes, das gerade in der Nähe lag. Die Sage iſt ſehr
bezeichnend als ein naiver Erklärungsverſuch der unmittelbaren Wahrheit, die
aus dem Gemälde ſpricht; in Wirklichkeit iſt aber gerade bei dieſem Bilde nichts
zufällig, jeder kleinſte Linienzug, jede leiſeſte Bewegung des Amriſſes iſt wohl
durchdacht, alles iſt reifſte künſtleriſche Erwägung, die ein Werk von reinſter
Harmonie zu ſchaffen weiß, ohne von dem äußeren Schein der Natürlichkeit das
geringſte zu opfern.

Streng im feierlich-religiöſen Tone ſind zwei Altarbilder gehalten, die
Raffael in jener Zeit malte. Das eine iſt die, Madonna von Foligno“ (Abb. 78),
gemalt im Auftrage des päpſtlichen Kämmerers Sigismondo de' Conti aus Foligno,
urſprünglich aufgeſtellt in der Kirche Araceli zu Rom, dann nach Foligno über-
tragen, Ende des achtzehnten Jahrhunderts durch die Franzoſen entführt und ſeit
1815 in der Sammiung der zurückgegebenen Kunſtſchätze im Vatikan aufgeſtellt.
Errettung aus Kriegsgefahr ſcheint den Kämmerer zur Stiftung des Bildes ver-
anlaßt zu haben. Darauf deutet in der Fernſicht des Gemäldes die Bombe hin,
die, einen langen Feuerſtreifen hinter ſich laſſend, in die Stadt Foligno hernieder-
ſauſt. Aber ſchon ſpannt ſich das himmliſche Friedenszeichen, der Regenbogen, über
die Stadt. Darüber erſcheint auf Wolken thronend, in einem hellen Lichtſchein,
den ein Kranz von Engeln umſchwebt, die Gnadenmutter mit dem Kinde. Als
die Verkörperung der Beſcheidenheit erſcheint Maria, deren Blicke nichts weiter
gewahren als den Gottesſohn, den ſie trägt. Huldvoll blickt der Ehriſtusknabe
auf den Kämmerer herab, der am Boden kniet und in inbrünſtigem Gebet ſeinen
Dank zum Himmel ſendet, während drei Heilige ihm als Fürbitter zur Seite
ſtehen: der heilige Hieronymus hat die Hand auf ſein Haupt gelegt und empfiehlt.
ihn mit beredter Gebärde der göttlichen Gnade; gegenüber ſteht der ſtrenge Buß-
prediger Johannes und deutet mit der Hand auf den Erlöſer der Welt; neben
Johannes kniet in heißer Andacht — ein Wunderwerk des Ausdrucks — der von
götilicher Liebe glühende Franziskus. Zwiſchen den Betern ſteht, als Träger
eines zur Aufnahme einer Weihinſchrift beſtimmten Täfelchens, ein nackter kleiner
Engel eine jener liebenswürdigen, ſeelenvollen Kindergeſtalten, die Raffaels
eigenſtes Eigentum ſind.

Das zweite Altarbild ſtammt aus der Kirche S. Domenico zu Neapel und
befindet ſich jetzt im Madrider Muſeum. Es führt die Bezeichnung: „Madonna
mit dem Fiſch“. Als eine Stiftung der Bitte oder des Dankes begieht es ſich
auf die Heilung von einem Augenleiden. Der junge Tobias, der in der Hand
den Fiſch trägt, mit deſſen Leber er ſeinem Vater das Augenlicht wiedergegeben
hat, wird duͤrch den Engel zum Thron der Jungfrau geleitet, an deren Seite
der Bibelüberſetzer Hieronymus ſteht; innig flehen die beiden, und das göttliche
Kind richtet ſich, von der Mutter unterſtützt, empor, es ſtreckt die Hand aus,
und die Heilung iſt gewährt (Abb. 79). Die „Madonna mit dem Fiſch“ iſt.
eines der allerſchönſten Staffeleigemälde Raffaels. So groß und ernſt es in der
Auffaſſung iſt, ſo ſchön iſt es in der Farbe. Auch die „Madonna von Foligno“
zeichnet ſich durch eine Farbenpracht aus, wie Raffael ſie früher nicht erreicht.
hatte. Hier aber ſind die prächtigen Farben zu einem Zuſammenklange gebracht,
der den zarten Stimmungen der Florentiner Madonnen an maleriſchem Gehalt
 
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