Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
90

er ſich an der Mauer lang ausgeſtreckt hinabgleiten läßt; eine Frau wirft von
oben herab dem Gatten daͤs Wickelkind in die emporgeſtreckten Hände. Gegen-
über werden Löſchverſuche gemacht, junge Weiber, denen der Sturm die Gewänder
um die kräftigen Glieder peitſcht, tragen ſchreiend Waſſer herbei Abb. 93). Mit
Gekreiſch dräſigen ſich auf der Gaſſe Frauen und Kinder zuſammen; in der all-
gemeinen Hilflöſigkeit wenden einige unter ihnen den Blick nach dem Vatikanijchen
Falaſt neben der alten Petrusbaſilika: der Stellvertreter Gottes ſoll helfen. Und
ſchon hat ſich eine Schar gläubig Vertrauender dort eingefunden und liegt vor dem
Fenſtel des Papſtes auf den Knien; da erſcheint der Heilige und erheht ſeine
Rechte zum Segen, ſein Gebet wird die Macht des Feuers brechen. Über der
Betrachlung der lebensvollen Darſtellungen des Vordergrundes überſieht der Be-
ſchauer leicht die kleinen Figuren in der Ferne; und doch iſt gerade die Gruppe
der Bittenden, der verzweifelt und vertrauensvoll Hilfe Heiſchenden eine groß-
artige Schöpfung. In den prächtigen Geſtalten des Vordergrundes hat Raffael
den Beweis geliefert, daß er den menſchlichen Körper in den bewegteſten Stel-
lungen mit einer Kenntnis wiederzugeben vermochte, die derjenigen Michelangelos
nicht nachſtand, deſſen Werke ihn, nach Vaſaris Erzählung, in Florenz zum
Stuͤdium der Anatomie angeregt hatten. Die Figuren des Borgobrandes in ihrer
künſtleriſchen Formenſchönheit bildeten denn auch eine Hauptquelle des Studiums
für Raffaͤels Schüler und deren Nachfolger. In verſchiedenen Sammlungen
werden zahlreiche Nachzeichnungen dieſer Geſtalten aufbewahrt, teils in Sepig
getuſcht mit aufgeſetzten weißen Lichtern, teils in Nötel gezeichnet, darunter auch
folche, die — eine damals fehr fleißig betriebene Übung — aus den bekleideten
Figuren das mit unfehlbarer Richtigteit darunterſteckende Nackte herausgezogen
haben. Daß es ſich bei dieſen Blättern nicht etwa um Vorſtudien Raffaels
handelt, geht ſchon aus ihrer genauen Ebereinſtimmung mit den ausgeführten
Figuren hervor, wodurch ſie ſich als nach dieſen und nicht nach der Natur ge-
zeichnet zu erkennen geben, ganz abgeſehen von der Art der Zeichnung und dem
leilweiſe geringen Foͤrmenverſtändnis. Wie ganz anders ſcharf und verſtändnis-
voll Raffaͤel näch der Natur zeichnete, beweift das prächtige Blatt mit zwei Aft-
ſtudien, welches er im Jahre 1515 dem Albrecht Dürer verehrt hat (aufbewahrt
in der Albertina). Die beiden mit Nötel gezeichneten Figuren Abh. 88) ſind
Modellſtudien zu zwei Kriegern im Vordergrunde des zweiten Wandgemäldes,
der „Schlacht bei Oſtia“. Der Sieg Leos IV. über die Saxazenen im Jahre 849
iſt der Gegenſtand des Bildes, ein zeitgemäßes Thema, da gerade jetzt wieder
die Türken Jialien bedrohten. Während der Kampf noch tobt, ſehen wir, daß
der Sieg bereits entſchieden iſt; am Tor der Feſtung werden die Gefangenen
dem Papſte vorgeführt, der die Züge Leos X. trägt. Augenſcheinlich hat Raffael
bei dieſem Bilde nicht nur das Ganze der Ausführung, fondern auch pieles von
der Durcharbeitung der Gruppen ſeinen Schülern überlaſſen. Ganz überwiegend
gehören die beiden anderen Fresken den Gehilfen Raffaels an, beides Zeremonien-
bilder, die ſchon als ſolche den Meiſter wenig reizen mochten. Das eine ellt
den Reinigungseid Leos III. dax. Karl der Große hat, vom Papſt um Hilfe
gegen die aufftändiſchen Großen Roms angerufen (im Jahre 800), beide Parteien
vor ſich geladen, um ſie zu verhören und danach ſein Urteil zu fällen; der Papſt
aber weigert ſich, einen irdiſchen Richter über ſich zu erkennen, und reinigt ſich
durch einen freiwilligen Eid von allen Anſchuldigungen. Durch die. Inſchrift:
„Sottes, nicht eines Menſchen iſt es, über Biſchöfe zu urteilen“ nimmt das Bild
unmittelbaren Bezug auf einen Beſchluß des Lateraniſchen Konzils, welches zur
Zeit ſeiner Ausführung tagte. Das vierte Bild zeigt die Kaiſerkrönung Karls
des Großen. Selbſtverſtändlich erkennen wir in Leo III. wieder Leo X.; der
Kaiſer ſoll ein Bildnis Franz' L. von Frankreich ſein, der bald nach ſeiner
Thronbeſteigung (1515) ein Bündnis mit dem Papſte ſchloß. Übrigens iſt gexade
diefes Gemälde, bei dem die Eintönigkeit der Schilderung einer feierlichen Ver-
 
Annotationen