schichte der Lutwickluug deS meuschheitlicheu Geistesmuß im Großen den
selben Gang zeigeu.
„Sie sehen also, Commilitonen, daß sich an jeues Meisterwerk deut-
scher Baukunst uicht nur als eben so viele Motive der Begeisterung die
Jdeen deS DaterlandeS, der Kuust und der Religion anknüpfeu, sondern
daß dieser Bau zugleich eine besondere Bedeutung für unS gewinnt,
wenn wir ihu als eiu Symbol der höchsten Wissen schaft, der aus
der ethischen BafiS des Christenthums wurzelnden und zu seinen Resul-
taten wisseuschaftlich unabhängig hinführendeu Philosophie vorfinden.
Und dieser mögen wir alle mit tiesem Ernste, mit reinem Streben, mit
redlichem Wollen, aber anch mit offenem, vvMrtheilsfreiem Auge uus
zuwenden ! Dann werden wir mit dem äu ßeren Baue jenes
steinerneuDomek zugleich den innerenBau eine« geistigen
Dome« verbindeu, woriu sich dereinst, wie in jenem, alle
Natione» in Frieden und Eintracht zusammeu finden
Mögen. viri."
Sodann ergriff der Dombaumeister, Herr Regierungs- und Banrath
Zwirner, da« Wort, indem er, mit Begeisterung di« Commilitonen an-
redeud, die herrlichen Fortschritte des Dombaues in dem letzteu Jahr-
zehend vor dem Geiste entwickelte. Auf die nächste Sukuuft deS Domes
Sbergehend, sprach er die Auverflcht aus, daß der Central-Dombau-Verein
daS eigentliche Kirchengebäude mit seinem Strebewerk vollenden werde,
daß aber dann der Bau der Lhürme noch bleibe, «nd daß hier der Lheil
deS grvßen Ganzen sei, welcher der akademischen Jugend gehöre. Der
Redner entwickelt neuerdings die Gründe, welche ihn schon bei einer
früheren Versammlung bewogen HLtten, ihr gerade diese Aufgabe zu
stelleu; und die mit Wärme und Vertrauen auf den hohen Sinn der
Lkademiker gesprochenen Worte verfehlten nicht, einen ergreifenden Ein
druck zu machen, der fich am Schlusse der Rede durch eiue lebhafte Bei
fallS-Erweisung knad gab.
Hierauf bestieg Herr Lhissen den Katheder und knüpfte an den Vor
trag des Vorredners schöne ermunternde Worte folgenden Jnhaltß;
„Meine Herren! Jch müßte mich sehr täuschen, oder die Worte deS
Herrn Dombaumeisters haben einen Kampf in Jhrem Jnnern hervorge
rufen. Sie find freudig angeregt von dem Ziele, das er Jhrer lLhätig
keit gesteckt hat; Sie möchten es erreichen, aber im Hinblicke auf seine
Größe rcgt fich auch die Furcht, daß Sie dasselbe zu erreichen nicht möchten
im Stande seiu. Jch will Jhnen zu Hülfe kommen, Eie auf eine Kraft
hinweiseu, die Sie in Jhrer Vereinigung befitzen und welche nur geweckt
zu werden braucht, um Sie zur AuSführung der kühnsten Entschlüsse zu
befähigen.
„Um zn erkenneu, waS der Mensch vermöge, müssen wir nicht auf das
achten, waS er im gewöhnlichen Gange seines Lebens vollbringt, sondern
wa« er zn Stande bringt, wo er seine volle Khätigkeit entfaltet. Der
würde den Werth eiueS Capitals schlecht bemessen, welcher eS abschätzt«
nach dem Gewinn, den e« in der Hand des Trägen abwirft, den Werth
«ineS Ackers »ach dem Rutzen, den er brach liegend für seinen Besitzer
hat. Bemeffen Sie die Schnelligkeit deSHirsches nicht, wenn er im Walde
nach Fntter geht, sondern wenn er vor dem Pfeile des Berfolgers flieht;
die Kraft deS Lö'wen nicht, wenn er unthätig in seiner Hö'hle liegt, son-
dern wen» er wuthentbranut zerreißt, was ihm feindlich in den Weg
tritt. Die Nothwendigkeit ist e«, «elche eine anregende Kraft, wie
Lber die Ratur, so öber den Menschen übt. Unter der Herrschaft der
Nothwendigkeit ändert fich der Mensch und zeigt, was er vermag. Sein
Erkenntniß-Vermögen wächst an Stärke, es erlangt gleichsam eine wun-
derbare Schärfe, Klarheit und Bestimmthei't; das Herz erweitert sich,
der Körper selbst gewinnt mehr Frische und Kraft. Wo Alles in tiefer
Ruhe lag, geräth Alles in Bewegung — derWille, von der Gefahr an-
gespornt, entfaltet sich in seiner ganzen Stärke — mit gebieterischer
Macht befiehlt er allen Fähigkeiten, zu gemeinfamem Handeln mitzuwirken.
Der Meosch erstaunt über fich selbst, und waS er unlängst nicht eiumal
zn träumen gewagt hatte, was gestern noch unmöglich war, das ist am
folgendeu Tage schon eine vollendete Handlung. WaS nun in den äußer-
sten Umkänden, unter der Herrschaft der Nothwendigkeit geschieht, lehrt
nnS, wa- wir in dem gewöhnlichen Gange Les LebenS vermögen. Da
sehen wir, waS der menschliche Wille ist nnd wie wir oft nber den Wrllen
unS täuscheu. Wir glauben einen Willen zu haben, wo es im Bruude
nur ein matter Wnnsch, ein Schattenbild von Willen ist; wir entfalte»
in weichlichem Halbwollen einen Lheil unserer Fähigkeiten, wir spannen
eiuige Segel auf, und ehe uoch der Wind dieselben schwellen kann, ziehen
«ir sie ei» und schwimmen allgemach mit dem Strome fort. Wer aber
im Hinblicke auf ein erhabenes Ziel den Willen hat, es z« erreichen, der
setzt alle die Kräfte in Bewegung, welche die gebieterische Kraft der
Nothwendigkeit erwecket; er erhedt sich aus der Mitte der Alltagmenschen;
fein Wille giht ihm eine Ueberlegenheit über scines Gleichen, deren Erster
er «ird, ohne Anspruch darauf zu mache»; er erwirbt ein Königthum,
dessen Befehlen die Anderu sich beugen, und über Werhältnisse und Um-
stande stegrerch, wandelt er nicht, sondern durcheilt er seinen Weg.
„Diese WillenSkraft, meine Herren! ist eS. die allein in der geistlge»
und sittlichen Ordnung der Dinge etwaS schafft, und wo jemals etwas
Großes gewirkt worden, im stillen häuslichen Kreise »der auf dem großen
Schauplatze der Welt, da hat zuerst eine Brust fich gehobeu, und ein
Menschenkiud hat gesprochen: „„Jch will"" —DieseS „„Jch will"", das
als Gottes Allmachtswort diesen Himmel und diese Erde in das Dasein
rief und in den geschaffenen Elementen die wunderbare Harmonie und
Ordnung gründete. dieseS „„Jch will""hat der Schöpfer zum Losungs-
worte gemacht fnr daS Gebirt, auf dem er dem Mensche» seine Lhätig-
keit anwieS.
„Jst nun in Jhnen, meine Herren! «in solcher Wille vorhanden, dann
dürfen Sie an ein großes Werk gehen; aber damit es Jhnen gelinge,
darf Jhrem «illen eine Eigenschaft nicht fehlen, in der seine eigentliche
Kraft beruht, La, w» Schwierigkeiten ihm iu den Weg treten. Angesichts
solcher kann der Wille ein ungestümer, ein energischer, ein fester sein.
Jm Nngestüm liegt eine Anwandlung von Leidenschaft; es ist, wie ein
geistreicher Schriftsteller sagt, eine Convulsion deS von der Leidenschaft
fortgerissenen Willens ; es ist durch eine kurze Zeit beschränkt; es durch-
bricht entweder in Einem Augenblicke alle Hindernisse, oder eS wird selbst
gebrochen. Jn der Energie ist eine gewisse Dauer mit der Kraft verpaart;
sie bietet Austrengungen auf, aber auch sie läßt nach, wenn Zeite» und
Umstände sich Ludern; in der Festigkeit aber tritt Ruhe und Besonneu-
heit zu der dauernden Kraft; sie uberlegt, ob die Schwierigkeiten ent-
sernt werden können, oder ob ste umgangen werden müssen; kann fie
dieselben auch nicht umgehen, dann hält sie inne und wartet; sie ver-
schwendet die Kräfte nicht nutzloS, sondern sammelt sie für den Augen-
blick, wo fie des ErfolgeS sicher ist. Sie ist der Soldat, der, wenn er iu
offener Feldschlacht mit Mühe «nd Anstrengung den Feind überwunden,
sogleich deu Augenblick benutzt, dre ihrer Vertheidigung beraubte Stadt
zu erstürmen, wenn er aber in raschem Vordrrngen an eine Mauer oder
einen Graben kommt, nicht zurückweicht, nicht wider die Mauer rennt,
uicht in den Graben stürzt, sondern dann wartet, bis der Graben aus-
gesüllt, bis durch die Geschütze die Mauer durchbrochen ist.
„Diese Festigkeit des WillenS, die nach einem bestimmten Plane z«
Werke geht. nichtS dem Zufalle überläßt, aber den Plan ändert, neue
Plane entwirft, «enn Ereignisse und Umstände dazu zwingen, ist ganz
besonderS nothwendig, wo ein schwieriges Unternehmen eine längere Zeit-
dauer in Anspruch nimmt; fle war in jenen Zeiten vorhanden, wo jene
prachtvollen Lempel gegründet und gebaut wurden, welche die Gegeu-
wart anstaunt, und ohne sie wird auch heute nichtS gelingen, waS nur
die Erhaltung oder Vollendung jener Riesendenkmäler bezweckt.
„An ein solches sind Sie hingetreten, meine Herren! da Sie für de»
Ausbau des kölner Domes thäti'g zu sein Sich vereinigten. Dcr Bau-
meister hat nun Jhren Blick gerichtet auf die Lhürme, auf deren schwin-
delnder Höhe das Panier eines eiuigen und starken Daterlandes prange»
soll, und ich sehe Sie zagend die Kräfte bcmessen, über die Sie znr
Ausführung der erhabenen Jdeen verfügen. Was wird denn von Jhneu
gefordcrt? Sie brauchen nicht den wunderbaren Plan zu erdenken, den
das Gebäude verwirklichen soll — er ist seit Zahrhunderten gezeichnet —,
Sie brauchen nicht kunstgeübte Männer zu bilden, unter deren Hand der
Stein glcichsam Leben erhält — dieBaiihütte besitzt sie—, Sie brauchen
nicht erst deu Sinn für den Ausbau des köluer Domes zu wecken — in
allen Gegenden Deutschlands ersehnt man den Lag seiner Vollendung —,
Sie brauchen nur Mittel herbeizuschaffen, Opfer und Gaben einzusam-
meln, die dem erhabenen Zwecke gebracht werden. Sie sollen nur das
zum sesten Willen werde» laffen, was Sie als Jhren Willen bei der
Gründung JhreS Vereins oder bei Jhrem Eintritte in denselben erklärt
haben. Sie haben el» Statut, welches heißt, daß Sie Sich bemühen wür-
den, außer Jhrer persönlichen Gabe auch bei passenden Gelegenheiten
von Anderen solche zu erbitten, und wenn Sie daS thun, thun mit
jugendlichem Feuer, mit jugendlicher Sittsamkeit und Anstand, werden
Jhre Eltern, Bekannten, Freunde Jhrer Bitte widerstehen ? Viel ist, was
der Einzelne vermag, wenn er mit festem Willen etwas erstrebt — die
Geschichte gibt Jhnen Zeugnisse, daß die größten Dinge oft das Werk
eines einzigen, oft unscheinbaren Menschen waren —, aber blicken Sie
um Sich auf die Vielen, die Jhnen hier zur Eeite, auf die Vielen, die
Jhne» zu gleichem Zwecke verbunden nahe stehen. Manches haben Sie
crreicht, ehe Sie noch die ganze Kraft Jhres Willens aufgeboten, — was
können und werden Sie erreichen, weun Sie vereint mit ganzer Kraft
an das Werk gehen!
„Sie, meine Herren! sind bestimmt, in LebenSverhältnisse zu kommeu,
wo oft von dem kräftigen Willen eines Sinzelnen das Schicksal von
Lausenden abhängt. UnterJhnen ist vielleicht Mancher, der einst Großes
zu vollbringen berufen ist. — Ueben Sie in der Jhnen vorgelegten Auf-
gabe die Festigkeit deS Willens, erstreben Sie mit festem Willen daS
herrliche Zhnen an dem kölner Dome gesteckte Ziel; und wenn Sie thn»,
was an Zhnen ist, dann wird — ich sage nicht: koriom koriuva juvs»
sondern — dem fcsten Willen Gottes Hülfe nicht fehlen."
Endlich sprach Herr Professor Kreuser. Won dem Wesen der roma-
nischen und germanischcn Bauweisen ausgehend, verbreitete fich der
Redner über den namentlich in der letzteren hervortretenden christlichen
Geist, ohne den die mittelalterlichen Schöpfungen wie in ihrem Ganzen,
so auch in den Einzelheiten ni'cht begrissen würden, und daher in unserer
Zeit so vielfach Mißkennung und Geringschätzung gefunden hätten. All-
mählich ging der Redner auf eine Betrachtung der Lhürme an unseren
Kathedralen über und stellte mit Klarheit «nd Gewandtheit einen Ver-
gleich zwischen diesen und der akademischen Jugend hin. „Jhr seid die
Thürme," sprach er, „und Euch gehört der Bau derselben an unserem
Dome."
Jnzwifchen hatte das Scrutinium för die Wahl der neuen Dorstands-
Mitglieder Statt gefunden, dessen Resultat Hr. l>. Floß verkündigte.
Ss waren die Herren; ^ ,
Peitz, Siuü. ideol.; Lex, Siuck. jor.; Bre u e r, Sius. ikool.; tzempertz,
Siuä jur.; Huthmacher, 8iuä. ikeol.; Faßbender, Siuä. ikeol.
Der Ehren-Präses Prof. 0. Scholz dankte der Wersammlung fur die
rege Meilnahme, welche sie auch dieses Mal dem Bereine zugewendet,
so wie inSbesondere den Herren vom Worstande des Central-Domtau-
Dereins, welche wiederum Lie Versammlung durch ihre Auwesenheit und
ihre Borträge beehrt hatten.
Dann wurde die Versammlung gegen 5 Uhr Nachmittags geschlossen.
Zm Verlage der Gropiu s'schen Buch-und Kitnsthandlung in Potsdam
ist erschienen und in allen Buchhandlungen, in Köln in derM. DuMon t-
Gchauberg'schen, zu haben:
Zwanzig Gedichte
von
Augnst Schüler.
(Zum Besten des kölner Dombaues.)
8. Sauber droch. Preis 10 Sgr.
Verantwortlicher.Herausgeber: I. Z. Nelles in Köln.
Commissions-Verlag des Verlegers der Köln.Ztg.: Zos. DuMont in Köln.
Druck von M. DuMont-Schauberg in Kö'ln.
selben Gang zeigeu.
„Sie sehen also, Commilitonen, daß sich an jeues Meisterwerk deut-
scher Baukunst uicht nur als eben so viele Motive der Begeisterung die
Jdeen deS DaterlandeS, der Kuust und der Religion anknüpfeu, sondern
daß dieser Bau zugleich eine besondere Bedeutung für unS gewinnt,
wenn wir ihu als eiu Symbol der höchsten Wissen schaft, der aus
der ethischen BafiS des Christenthums wurzelnden und zu seinen Resul-
taten wisseuschaftlich unabhängig hinführendeu Philosophie vorfinden.
Und dieser mögen wir alle mit tiesem Ernste, mit reinem Streben, mit
redlichem Wollen, aber anch mit offenem, vvMrtheilsfreiem Auge uus
zuwenden ! Dann werden wir mit dem äu ßeren Baue jenes
steinerneuDomek zugleich den innerenBau eine« geistigen
Dome« verbindeu, woriu sich dereinst, wie in jenem, alle
Natione» in Frieden und Eintracht zusammeu finden
Mögen. viri."
Sodann ergriff der Dombaumeister, Herr Regierungs- und Banrath
Zwirner, da« Wort, indem er, mit Begeisterung di« Commilitonen an-
redeud, die herrlichen Fortschritte des Dombaues in dem letzteu Jahr-
zehend vor dem Geiste entwickelte. Auf die nächste Sukuuft deS Domes
Sbergehend, sprach er die Auverflcht aus, daß der Central-Dombau-Verein
daS eigentliche Kirchengebäude mit seinem Strebewerk vollenden werde,
daß aber dann der Bau der Lhürme noch bleibe, «nd daß hier der Lheil
deS grvßen Ganzen sei, welcher der akademischen Jugend gehöre. Der
Redner entwickelt neuerdings die Gründe, welche ihn schon bei einer
früheren Versammlung bewogen HLtten, ihr gerade diese Aufgabe zu
stelleu; und die mit Wärme und Vertrauen auf den hohen Sinn der
Lkademiker gesprochenen Worte verfehlten nicht, einen ergreifenden Ein
druck zu machen, der fich am Schlusse der Rede durch eiue lebhafte Bei
fallS-Erweisung knad gab.
Hierauf bestieg Herr Lhissen den Katheder und knüpfte an den Vor
trag des Vorredners schöne ermunternde Worte folgenden Jnhaltß;
„Meine Herren! Jch müßte mich sehr täuschen, oder die Worte deS
Herrn Dombaumeisters haben einen Kampf in Jhrem Jnnern hervorge
rufen. Sie find freudig angeregt von dem Ziele, das er Jhrer lLhätig
keit gesteckt hat; Sie möchten es erreichen, aber im Hinblicke auf seine
Größe rcgt fich auch die Furcht, daß Sie dasselbe zu erreichen nicht möchten
im Stande seiu. Jch will Jhnen zu Hülfe kommen, Eie auf eine Kraft
hinweiseu, die Sie in Jhrer Vereinigung befitzen und welche nur geweckt
zu werden braucht, um Sie zur AuSführung der kühnsten Entschlüsse zu
befähigen.
„Um zn erkenneu, waS der Mensch vermöge, müssen wir nicht auf das
achten, waS er im gewöhnlichen Gange seines Lebens vollbringt, sondern
wa« er zn Stande bringt, wo er seine volle Khätigkeit entfaltet. Der
würde den Werth eiueS Capitals schlecht bemessen, welcher eS abschätzt«
nach dem Gewinn, den e« in der Hand des Trägen abwirft, den Werth
«ineS Ackers »ach dem Rutzen, den er brach liegend für seinen Besitzer
hat. Bemeffen Sie die Schnelligkeit deSHirsches nicht, wenn er im Walde
nach Fntter geht, sondern wenn er vor dem Pfeile des Berfolgers flieht;
die Kraft deS Lö'wen nicht, wenn er unthätig in seiner Hö'hle liegt, son-
dern wen» er wuthentbranut zerreißt, was ihm feindlich in den Weg
tritt. Die Nothwendigkeit ist e«, «elche eine anregende Kraft, wie
Lber die Ratur, so öber den Menschen übt. Unter der Herrschaft der
Nothwendigkeit ändert fich der Mensch und zeigt, was er vermag. Sein
Erkenntniß-Vermögen wächst an Stärke, es erlangt gleichsam eine wun-
derbare Schärfe, Klarheit und Bestimmthei't; das Herz erweitert sich,
der Körper selbst gewinnt mehr Frische und Kraft. Wo Alles in tiefer
Ruhe lag, geräth Alles in Bewegung — derWille, von der Gefahr an-
gespornt, entfaltet sich in seiner ganzen Stärke — mit gebieterischer
Macht befiehlt er allen Fähigkeiten, zu gemeinfamem Handeln mitzuwirken.
Der Meosch erstaunt über fich selbst, und waS er unlängst nicht eiumal
zn träumen gewagt hatte, was gestern noch unmöglich war, das ist am
folgendeu Tage schon eine vollendete Handlung. WaS nun in den äußer-
sten Umkänden, unter der Herrschaft der Nothwendigkeit geschieht, lehrt
nnS, wa- wir in dem gewöhnlichen Gange Les LebenS vermögen. Da
sehen wir, waS der menschliche Wille ist nnd wie wir oft nber den Wrllen
unS täuscheu. Wir glauben einen Willen zu haben, wo es im Bruude
nur ein matter Wnnsch, ein Schattenbild von Willen ist; wir entfalte»
in weichlichem Halbwollen einen Lheil unserer Fähigkeiten, wir spannen
eiuige Segel auf, und ehe uoch der Wind dieselben schwellen kann, ziehen
«ir sie ei» und schwimmen allgemach mit dem Strome fort. Wer aber
im Hinblicke auf ein erhabenes Ziel den Willen hat, es z« erreichen, der
setzt alle die Kräfte in Bewegung, welche die gebieterische Kraft der
Nothwendigkeit erwecket; er erhedt sich aus der Mitte der Alltagmenschen;
fein Wille giht ihm eine Ueberlegenheit über scines Gleichen, deren Erster
er «ird, ohne Anspruch darauf zu mache»; er erwirbt ein Königthum,
dessen Befehlen die Anderu sich beugen, und über Werhältnisse und Um-
stande stegrerch, wandelt er nicht, sondern durcheilt er seinen Weg.
„Diese WillenSkraft, meine Herren! ist eS. die allein in der geistlge»
und sittlichen Ordnung der Dinge etwaS schafft, und wo jemals etwas
Großes gewirkt worden, im stillen häuslichen Kreise »der auf dem großen
Schauplatze der Welt, da hat zuerst eine Brust fich gehobeu, und ein
Menschenkiud hat gesprochen: „„Jch will"" —DieseS „„Jch will"", das
als Gottes Allmachtswort diesen Himmel und diese Erde in das Dasein
rief und in den geschaffenen Elementen die wunderbare Harmonie und
Ordnung gründete. dieseS „„Jch will""hat der Schöpfer zum Losungs-
worte gemacht fnr daS Gebirt, auf dem er dem Mensche» seine Lhätig-
keit anwieS.
„Jst nun in Jhnen, meine Herren! «in solcher Wille vorhanden, dann
dürfen Sie an ein großes Werk gehen; aber damit es Jhnen gelinge,
darf Jhrem «illen eine Eigenschaft nicht fehlen, in der seine eigentliche
Kraft beruht, La, w» Schwierigkeiten ihm iu den Weg treten. Angesichts
solcher kann der Wille ein ungestümer, ein energischer, ein fester sein.
Jm Nngestüm liegt eine Anwandlung von Leidenschaft; es ist, wie ein
geistreicher Schriftsteller sagt, eine Convulsion deS von der Leidenschaft
fortgerissenen Willens ; es ist durch eine kurze Zeit beschränkt; es durch-
bricht entweder in Einem Augenblicke alle Hindernisse, oder eS wird selbst
gebrochen. Jn der Energie ist eine gewisse Dauer mit der Kraft verpaart;
sie bietet Austrengungen auf, aber auch sie läßt nach, wenn Zeite» und
Umstände sich Ludern; in der Festigkeit aber tritt Ruhe und Besonneu-
heit zu der dauernden Kraft; sie uberlegt, ob die Schwierigkeiten ent-
sernt werden können, oder ob ste umgangen werden müssen; kann fie
dieselben auch nicht umgehen, dann hält sie inne und wartet; sie ver-
schwendet die Kräfte nicht nutzloS, sondern sammelt sie für den Augen-
blick, wo fie des ErfolgeS sicher ist. Sie ist der Soldat, der, wenn er iu
offener Feldschlacht mit Mühe «nd Anstrengung den Feind überwunden,
sogleich deu Augenblick benutzt, dre ihrer Vertheidigung beraubte Stadt
zu erstürmen, wenn er aber in raschem Vordrrngen an eine Mauer oder
einen Graben kommt, nicht zurückweicht, nicht wider die Mauer rennt,
uicht in den Graben stürzt, sondern dann wartet, bis der Graben aus-
gesüllt, bis durch die Geschütze die Mauer durchbrochen ist.
„Diese Festigkeit des WillenS, die nach einem bestimmten Plane z«
Werke geht. nichtS dem Zufalle überläßt, aber den Plan ändert, neue
Plane entwirft, «enn Ereignisse und Umstände dazu zwingen, ist ganz
besonderS nothwendig, wo ein schwieriges Unternehmen eine längere Zeit-
dauer in Anspruch nimmt; fle war in jenen Zeiten vorhanden, wo jene
prachtvollen Lempel gegründet und gebaut wurden, welche die Gegeu-
wart anstaunt, und ohne sie wird auch heute nichtS gelingen, waS nur
die Erhaltung oder Vollendung jener Riesendenkmäler bezweckt.
„An ein solches sind Sie hingetreten, meine Herren! da Sie für de»
Ausbau des kölner Domes thäti'g zu sein Sich vereinigten. Dcr Bau-
meister hat nun Jhren Blick gerichtet auf die Lhürme, auf deren schwin-
delnder Höhe das Panier eines eiuigen und starken Daterlandes prange»
soll, und ich sehe Sie zagend die Kräfte bcmessen, über die Sie znr
Ausführung der erhabenen Jdeen verfügen. Was wird denn von Jhneu
gefordcrt? Sie brauchen nicht den wunderbaren Plan zu erdenken, den
das Gebäude verwirklichen soll — er ist seit Zahrhunderten gezeichnet —,
Sie brauchen nicht kunstgeübte Männer zu bilden, unter deren Hand der
Stein glcichsam Leben erhält — dieBaiihütte besitzt sie—, Sie brauchen
nicht erst deu Sinn für den Ausbau des köluer Domes zu wecken — in
allen Gegenden Deutschlands ersehnt man den Lag seiner Vollendung —,
Sie brauchen nur Mittel herbeizuschaffen, Opfer und Gaben einzusam-
meln, die dem erhabenen Zwecke gebracht werden. Sie sollen nur das
zum sesten Willen werde» laffen, was Sie als Jhren Willen bei der
Gründung JhreS Vereins oder bei Jhrem Eintritte in denselben erklärt
haben. Sie haben el» Statut, welches heißt, daß Sie Sich bemühen wür-
den, außer Jhrer persönlichen Gabe auch bei passenden Gelegenheiten
von Anderen solche zu erbitten, und wenn Sie daS thun, thun mit
jugendlichem Feuer, mit jugendlicher Sittsamkeit und Anstand, werden
Jhre Eltern, Bekannten, Freunde Jhrer Bitte widerstehen ? Viel ist, was
der Einzelne vermag, wenn er mit festem Willen etwas erstrebt — die
Geschichte gibt Jhnen Zeugnisse, daß die größten Dinge oft das Werk
eines einzigen, oft unscheinbaren Menschen waren —, aber blicken Sie
um Sich auf die Vielen, die Jhnen hier zur Eeite, auf die Vielen, die
Jhne» zu gleichem Zwecke verbunden nahe stehen. Manches haben Sie
crreicht, ehe Sie noch die ganze Kraft Jhres Willens aufgeboten, — was
können und werden Sie erreichen, weun Sie vereint mit ganzer Kraft
an das Werk gehen!
„Sie, meine Herren! sind bestimmt, in LebenSverhältnisse zu kommeu,
wo oft von dem kräftigen Willen eines Sinzelnen das Schicksal von
Lausenden abhängt. UnterJhnen ist vielleicht Mancher, der einst Großes
zu vollbringen berufen ist. — Ueben Sie in der Jhnen vorgelegten Auf-
gabe die Festigkeit deS Willens, erstreben Sie mit festem Willen daS
herrliche Zhnen an dem kölner Dome gesteckte Ziel; und wenn Sie thn»,
was an Zhnen ist, dann wird — ich sage nicht: koriom koriuva juvs»
sondern — dem fcsten Willen Gottes Hülfe nicht fehlen."
Endlich sprach Herr Professor Kreuser. Won dem Wesen der roma-
nischen und germanischcn Bauweisen ausgehend, verbreitete fich der
Redner über den namentlich in der letzteren hervortretenden christlichen
Geist, ohne den die mittelalterlichen Schöpfungen wie in ihrem Ganzen,
so auch in den Einzelheiten ni'cht begrissen würden, und daher in unserer
Zeit so vielfach Mißkennung und Geringschätzung gefunden hätten. All-
mählich ging der Redner auf eine Betrachtung der Lhürme an unseren
Kathedralen über und stellte mit Klarheit «nd Gewandtheit einen Ver-
gleich zwischen diesen und der akademischen Jugend hin. „Jhr seid die
Thürme," sprach er, „und Euch gehört der Bau derselben an unserem
Dome."
Jnzwifchen hatte das Scrutinium för die Wahl der neuen Dorstands-
Mitglieder Statt gefunden, dessen Resultat Hr. l>. Floß verkündigte.
Ss waren die Herren; ^ ,
Peitz, Siuü. ideol.; Lex, Siuck. jor.; Bre u e r, Sius. ikool.; tzempertz,
Siuä jur.; Huthmacher, 8iuä. ikeol.; Faßbender, Siuä. ikeol.
Der Ehren-Präses Prof. 0. Scholz dankte der Wersammlung fur die
rege Meilnahme, welche sie auch dieses Mal dem Bereine zugewendet,
so wie inSbesondere den Herren vom Worstande des Central-Domtau-
Dereins, welche wiederum Lie Versammlung durch ihre Auwesenheit und
ihre Borträge beehrt hatten.
Dann wurde die Versammlung gegen 5 Uhr Nachmittags geschlossen.
Zm Verlage der Gropiu s'schen Buch-und Kitnsthandlung in Potsdam
ist erschienen und in allen Buchhandlungen, in Köln in derM. DuMon t-
Gchauberg'schen, zu haben:
Zwanzig Gedichte
von
Augnst Schüler.
(Zum Besten des kölner Dombaues.)
8. Sauber droch. Preis 10 Sgr.
Verantwortlicher.Herausgeber: I. Z. Nelles in Köln.
Commissions-Verlag des Verlegers der Köln.Ztg.: Zos. DuMont in Köln.
Druck von M. DuMont-Schauberg in Kö'ln.