1. SCHMERZENSMANN UND ERLÖSER
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Szene «Ecce homo». Nr. 293 u. a.). Ins Bild des «Schmerzensmannes» sind zusam-
mengeführt die Gedanken an die Passion Christi (Dornenkrönung, Kreuzigung,
Beweinung), an die Überwindung von Tod und Teufel (vgl. Nr. 353ff.), an den
Richter-Christus (Nr. 306-308, 362) und an die Wiederholung des Opfers Christi in
der Eucharistie der Messe. Christus als Schmerzensmann zeigt seine Wundmale (wie
im Jüngsten Gericht) zum Zeichen seiner Opferung und seiner Gnade. Da er im Bild
des Schmerzensmannes nicht tot, sondern lebendig erscheint und auf dem Grabdeckel
sitzt (der Vergleich zwischen Christi Grab und dem Altar wird in den Darstellungen
der «Gregorsmesse» gezogen: öfter dargestellt von einem Schüler Cranachs im
Auftrag des Kardinals Albrecht von Brandenburg, FR. 361, 362 u. a.; vgl. P. Halm, in:
Münchner Jb. d. bild. Kunst, 1925, S. 61 ff.), denkt der Betrachter nicht zuletzt an die
Auferstehung Christi. So hat Clemens Brentano in seinem am 21. Januar 1810
geschriebenen Brief an den Maler Philipp Otto Runge das Schmerzensmann-Bild
Nr. 288 zwar nicht richtig, aber auch nicht sinnwidrig beschrieben: «Ich konnte sein
Bild der Auferstehung lange nicht vergessen. Christus sitzet gleichsam sinnend auf
dem Grabe, als erwache er aus dem schweren Traume der Erde zur Seligkeit; er ist en
face und schaut den Betrachter mit ernster Glorie an. Es war mir, als sey es der
Moment, da er aufhöre, Mensch zu seyn.» (Lit. bei Nr. 288.)
Trotz des Streites über das Abendmahl und über die Rolle des Priesters in der
Messe zwischen Luther, Zwingli und den Altgläubigen behielt der spätmittelalterliche
Bildtypus des «Schmerzensmannes» auch bei den Protestanten seine Gültigkeit in
Bezug auf die Gegenwart des Leibes und des Blutes Christi in der Messe (Luthers
Reform der Messe ab Frühjahr 1522). Auch die Verehrung des Schmerzensmannes
durch Maria und den Evangelisten Johannes, die unter dem Kreuz gestanden hatten -
so auf dem für Kardinal Albrecht, den scharfen Luther-Gegner, gemalten Altarbild
von 1524. Nr. 288. ebenso auf dem 1534 datierten Meissener Altar des Luther-
Gegners Herzog Georg des Bärtigen, FR. 180f.. und auf Nr. 290. Abb. 247 - wider-
spricht nicht Luthers Auffassung. Wahrscheinlich im Auftrag der Wittenberger
Universität und beraten von ihrem biblischen Professor Martin Luther, der 1505
Augustinermönch geworden war. hat Cranach schon um 1515 einen «Schmerzens-
mann, vom hl. Augustin verehrt» im Holzschnitt dargestellt (Nr. 9, Abb. 10). Hier, im
Gegensatz zu den für Kardinal Albrecht von Brandenburg von einem Cranach-
Schüler gemalten Bild der «Gregorsmesse», liegt der Akzent nicht auf dem vom
Priester nachvollzogenen Opfer, vielmehr auf der gläubigen Betrachtung Christi
(ebenso in Cranachs Schmerzensmann-Darstellung von 1515 im Gebetbuch des
Kaisers Maximilian, R. 25). Für solche Betrachtung zog Luther später «Christus am
Kreuz» oder den «Auferstandenen» dem «Schmerzensmann» vor (Prototyp im Geist
von Staupitz: Nr. 7. vgl. Schade 1974, Abb. 254, Text S. 98 und 452: seit 1540 von L.
Cranach d.J. gemalte Bilder des «Einsamen Gekreuzigten in der Landschaft»: Schade
1974, Abb. S. 432, Text S. 86-88; unbeachtete Vorform von L. Cranach d.Ä. aus der
Zeit vor 1537, Christus aber mit gesenkten Augen: Auktionskatalog Sotheby, London.
9. Dezember 1959, Nr. 11 mit Abbildung). Den auferstandenen Salvator in einer
himmlischen Engelsglorie konfrontierte Cranach im Auftrag Luthers auf einem
Buchholzschnitt von 1518 zu «Eyn deutsch Theologia: Ein edles Büchlein von
rechtem Verstand, was Adam und Christus sei, und wie Adam in uns sterben und
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Szene «Ecce homo». Nr. 293 u. a.). Ins Bild des «Schmerzensmannes» sind zusam-
mengeführt die Gedanken an die Passion Christi (Dornenkrönung, Kreuzigung,
Beweinung), an die Überwindung von Tod und Teufel (vgl. Nr. 353ff.), an den
Richter-Christus (Nr. 306-308, 362) und an die Wiederholung des Opfers Christi in
der Eucharistie der Messe. Christus als Schmerzensmann zeigt seine Wundmale (wie
im Jüngsten Gericht) zum Zeichen seiner Opferung und seiner Gnade. Da er im Bild
des Schmerzensmannes nicht tot, sondern lebendig erscheint und auf dem Grabdeckel
sitzt (der Vergleich zwischen Christi Grab und dem Altar wird in den Darstellungen
der «Gregorsmesse» gezogen: öfter dargestellt von einem Schüler Cranachs im
Auftrag des Kardinals Albrecht von Brandenburg, FR. 361, 362 u. a.; vgl. P. Halm, in:
Münchner Jb. d. bild. Kunst, 1925, S. 61 ff.), denkt der Betrachter nicht zuletzt an die
Auferstehung Christi. So hat Clemens Brentano in seinem am 21. Januar 1810
geschriebenen Brief an den Maler Philipp Otto Runge das Schmerzensmann-Bild
Nr. 288 zwar nicht richtig, aber auch nicht sinnwidrig beschrieben: «Ich konnte sein
Bild der Auferstehung lange nicht vergessen. Christus sitzet gleichsam sinnend auf
dem Grabe, als erwache er aus dem schweren Traume der Erde zur Seligkeit; er ist en
face und schaut den Betrachter mit ernster Glorie an. Es war mir, als sey es der
Moment, da er aufhöre, Mensch zu seyn.» (Lit. bei Nr. 288.)
Trotz des Streites über das Abendmahl und über die Rolle des Priesters in der
Messe zwischen Luther, Zwingli und den Altgläubigen behielt der spätmittelalterliche
Bildtypus des «Schmerzensmannes» auch bei den Protestanten seine Gültigkeit in
Bezug auf die Gegenwart des Leibes und des Blutes Christi in der Messe (Luthers
Reform der Messe ab Frühjahr 1522). Auch die Verehrung des Schmerzensmannes
durch Maria und den Evangelisten Johannes, die unter dem Kreuz gestanden hatten -
so auf dem für Kardinal Albrecht, den scharfen Luther-Gegner, gemalten Altarbild
von 1524. Nr. 288. ebenso auf dem 1534 datierten Meissener Altar des Luther-
Gegners Herzog Georg des Bärtigen, FR. 180f.. und auf Nr. 290. Abb. 247 - wider-
spricht nicht Luthers Auffassung. Wahrscheinlich im Auftrag der Wittenberger
Universität und beraten von ihrem biblischen Professor Martin Luther, der 1505
Augustinermönch geworden war. hat Cranach schon um 1515 einen «Schmerzens-
mann, vom hl. Augustin verehrt» im Holzschnitt dargestellt (Nr. 9, Abb. 10). Hier, im
Gegensatz zu den für Kardinal Albrecht von Brandenburg von einem Cranach-
Schüler gemalten Bild der «Gregorsmesse», liegt der Akzent nicht auf dem vom
Priester nachvollzogenen Opfer, vielmehr auf der gläubigen Betrachtung Christi
(ebenso in Cranachs Schmerzensmann-Darstellung von 1515 im Gebetbuch des
Kaisers Maximilian, R. 25). Für solche Betrachtung zog Luther später «Christus am
Kreuz» oder den «Auferstandenen» dem «Schmerzensmann» vor (Prototyp im Geist
von Staupitz: Nr. 7. vgl. Schade 1974, Abb. 254, Text S. 98 und 452: seit 1540 von L.
Cranach d.J. gemalte Bilder des «Einsamen Gekreuzigten in der Landschaft»: Schade
1974, Abb. S. 432, Text S. 86-88; unbeachtete Vorform von L. Cranach d.Ä. aus der
Zeit vor 1537, Christus aber mit gesenkten Augen: Auktionskatalog Sotheby, London.
9. Dezember 1959, Nr. 11 mit Abbildung). Den auferstandenen Salvator in einer
himmlischen Engelsglorie konfrontierte Cranach im Auftrag Luthers auf einem
Buchholzschnitt von 1518 zu «Eyn deutsch Theologia: Ein edles Büchlein von
rechtem Verstand, was Adam und Christus sei, und wie Adam in uns sterben und