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Koepplin, Dieter; Falk, Tilman; Cranach, Lucas [Ill.]
Lukas Cranach: Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik ; Ausstellung im Kunstmuseum Basel 15. Juni bis 8. September 1974 (Band 2) — Basel, Stuttgart, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.10454#0309
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735

XI. Zum Cranach-Verständnis bei Kunstkritikern und Künstlern des 20. Jahrhunderts

1. Raynal und Zervos, Picasso und Kirchner und andere Cranach-Kommentatoren (K)

Der französische Kunstkritiker Maurice Raynal (1884-1954) hat den folgenden, von
Yvonne Boerlin ins Deutsche übersetzten Essay über «Realite et Mythologie des
Cranach» in der von Albert Skira herausgegebenen Zeitschrift «Minotaure» 1936
(Nr. 9) publiziert - siebenundzwanzig Jahre nach der einzigen nennenswerten
französischen Cranach-Darstellung (von Louis Reau in der Revue de l'art ancien et
moderne, Frühjahr 1909, S. 271-287), vier Jahre nach dem Cranach-CEuvrekatalog
von Friedländer und Rosenberg (Berlin 1932). ein Jahr vor der nationalsozialistisch
untermauerten Cranach-Ausstellung in Berlin April-Juni 1937. sechs Jahre vor der
frühesten der zahlreichen Cranach-Variationen Picassos (Zeichnung von 1942 nach
Cranachs Holzschnitt Nr. 555') und vierzehn Jahre vor dem Buch von Christian
Zervos über «Nus de Lucas Cranach fanden» (1950)2. Zervos, der seit 1942 das
CEuvre Picassos herausgab, publizierte gelegentlich zusammen mit Raynal, so 1929 in
einer Sondernummer der Zeitschrift «Selection» über Louis Marcoussis oder 1930 im
Katalog einer Kandinsky-Ausstellung der Galerie de France in Paris3. Die Kenntnis
Cranachs war in diesem Kreis lebendig: bei Raynal, Zervos, Kahnweiler, Picasso,
Braque4. In der Zeit des Surrealismus und danach wurde sie in verstärktem Mass
aktuell. Genannt seien hier auch Zeichnungen von Alberto Giacometti nach Cranach-
Motiven, obwohl sie mit dem Surrealismus nur in losem Zusammenhang stehen5.

Unter der Leitung von Albert Skira und E. Teriade erschien im Skira-Verlag in
Paris 1933-1939 die dem Surrealismus und allem Aktuellen in Kunst, Dichtung,
Theater, Musik, Ethnologie, Mythologie und Psychoanalyse verpflichtete Zeitschrift
«Minotaure»6. Das Titelblatt des ersten Heftes ist von Picasso mit einem Minotaurus
geschmückt worden. Dieses erste Heft enthielt u. a. einen Artikel von Andre Breton
über Picasso und auch schon einen Beitrag von Maurice Raynal über «Variete du
corps humain» (Akt-Photographien und Kunst). Autoren der nächsten Hefte waren
Eluard, Man Ray, Dali, Tzara, Max Ernst, Bellmer, Saint-Exupery, Michaux usw.,
auch Teriade selber. Ziel von «Minotaure» war eine «veritable revue d'actualite», die
zeige «in der Zusammenschau alles, was vom Bewussten zum Unbewussten hinüber-
reicht und mit den Mitteln der Kritik vom Unbewussten ins Bewusste zurückgeführt
wird» (Vorwort zum l.Heft des 2. Jahrgangs, Dezember 1934). In diesem Rahmen
also stellt sich der als Aktualität geschriebene Cranach-Aufsatz von Maurice Raynal.
(Aktuell erschien übrigens auch «Le sadisme d'Urs Graf», vorgestellt von Pierre
Courthion und verglichen mit der surrealistischen Komposition «Hommage ä Urs
Graf» von Kurt Seligmann.) Das «Minotaure»-Heft mit Raynals Essay über Cranach
brachte sonst Studien über Degas, den späten Cezanne, Matisse (dieser zeichnete auch
den Umschlag des Heftes), Louis Soutter (von Le Corbusier), böotische Keramik (von
Jacques Prevert), Beiträge von Dali und Breton, Reproduktionen nach neuen Werken
Picassos und einen Artikel über die Funktion des Lichtes beim Pflanzenwuchs - alles
übrigens mit einem Luxus gedruckt, der im Vorwort ausdrücklich verteidigt wird als
für Auge und Geist wesentlich und als Ausdruck der Überwindung ökonomischer
 
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