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Koepplin, Dieter; Falk, Tilman; Cranach, Lucas [Ill.]
Lukas Cranach: Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik ; Ausstellung im Kunstmuseum Basel 15. Juni bis 8. September 1974 (Band 2) — Basel, Stuttgart, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.10454#0299
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725

X. Zur Handschrift Lukas Cranachs des Älteren und Albrecht Dürers (Nr. 659a-660c)

(Kristin Bühler-Oppenheim)

Menschen, ihre Charaktere, ihre Persönlichkeiten, ihre Begabungen, ihre Begrenzun-
gen und ihre Weite lassen sich vielleicht aus ihrem Werk, ihren Taten, im Spiegel
ihrer Mitmenschen, aus ihrer Handschrift schildern. Vergleichen wird man sie deshalb
noch nicht eigentlich können. Ein Mehr oder Weniger, Stärker oder Schwächer
verdunkelt eher, erhellt nicht. Den Menschen, sein Einmaligsein, profiliert der
Vergleich nicht. Das gilt ebenso für den Unscheinbaren, den «Kleinen», wie für den
Grossen, der tiefe Spuren zurücklässt. Beide sind einmalig, und vielleicht ist das
Rätsel, das den Unscheinbaren umgibt, das tiefere.

Lukas Cranach d.Ä. (1472-1553)

Verwendetes Material: Vier Quittungen 1514 und 1515 (Nr. 659a, Abb. 356); von
Cranach geschriebener und von Christian Goltschmidt (Döring) mitunterzeichneter
Brief 1521 (Nr. 659b, Abb. 357); Brief Cranachs ohne Herkunftsangabe (reproduziert
bei: Robert Ammann, Die Handschrift der Künstler. Bern/Stuttgart 1953). Nicht
verwendet wurden die neuerdings in Reproduktionen publizierten Briefe und Quit-
tungen L. Cranachs d.Ä. von 1513 bis 1552 (neben solchen von Hans Cranach und
L. Cranach d. J.) bei Schade 1974, S. 406ff.

Mit Lukas Cranachs Schrift, derjenigen des Dreissigjährigen vor allem, begegnen uns
Klarheit, Kraft, Festigkeit. Unbeugsames spricht aus dieser Haltung, die sich am
Widerstand härtet, in der Auseinandersetzung bestätigt. Dieser Mann kann auftreten
und auftrumpfen, er wirkt kurz angebunden, Kompromissen abgeneigt. Der Grand-
seigneur spricht aus seiner Haltung. Seine Stimme klingt voll, tönend, und er geht mit
festen Schritten. Ein Mann, der weiss, was er will. Also ein Tatmensch, ein Tag-
mensch, ein Rechner, der Erfolg und Anerkennung fordert, sich durchsetzen will -
wenn nötig auf Kosten des Mitmenschen? Gewiss, so steht er uns in seiner Hand-
schrift jener Jahre gegenüber, so muss er auch gewirkt haben. Aber eine andere
Wesensseite durchdringt und erhellt die geschilderte: Auch wer nicht gewohnt ist, sich
von Handschriften ansprechen zu lassen, muss die lichte, die strahlende Klarheit
spüren, die grosse geistige Kraft, die von den uns vorliegenden Dokumenten des
zweiundvierzigjährigen Cranach ausgeht (Nr. 659a). Der Strich, die Bewegung sind
trotz der Rauheit des Papiers unerhört frisch. Fast möchte man das Wort durchsichtig
verwenden, nicht gegenüber dem Strich selbst, der tief dunkel es nicht zuliesse,
sondern dem Raum gegenüber, der die Schreibbewegung umgibt, den sie ausspart. Es
sind aber natürlich auch die einzelnen Formen, die diese Wirkung erzeugen. Wie sich
die Grundhaltung, das Wesen eines Menschen in jeder kleinsten Bewegung ebenso
ausdrückt wie im Ganzen, das aus dem Einzelnen gestaltet wird, so drückt auch die
einzelne Form, sofern sie so gerät, wie der Schreiber sie beabsichtigt, sein Wesen aus:
die zart ansteigende, schöne Linienführung im <h>, die Sicherheit von Buchstaben-
kombinationen wie etwa <pf> oder <Di>, die Unbeirrtheit und Knappheit, mit der die
Kleinbuchstaben gestaltet werden - das alles lässt sich nicht mehr nur aus der Kraft,
 
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