12
Der Kalvarienberg
Nach dem Berge Kaivaria in Jerusalem benannt, wurden die Kalvarienberge ähn-
lich den Ölbergen vielfach an den Außenwänden der Kirchen, mehr jedoch in der
freien Landschaft errichtet. Als Standort wurden bevorzugt kleinere Hügel, aber
auch die Kuppen höherer Berge gewählt. Eine solche Anlage besteht zunächst aus
dem Kreuze Christi, dann treten hinzu die Kreuze der Schächer und (manchmal
auch nur oder) die sogenannten Assistenzfiguren, nämlich Maria, Johannes und
meist auch Magdalena. Die Wahl gerade der Berge für diese Kreuzigungsgruppen
hat natürlich zunächst ihre Ursache in der Annahme einer Nachbildung des Jerusa-
lemer Kalvarienbergs. "Darüberhinaus bleibt die Gewohnheit, gerade einen Berg
als Gnadenort auszuersehen, innerhalb des bei fast allen Völkern gewohnten
Brauchs; es ist eine Übung fast sämtlicher Religionen der Erde vom frühesten Be-
ginn der Geschichte an bis zur Gegenwart. Der Berg ist immer eine bevorzugte
Lieblingsstätte der religiösen Andachtsübung gewesen, schon als sinnlich deutli-
cher Ausdruck des Erhabenseins über die Niederung, dann als Beförderer inneren
Gesammeltseins, der beglückenden Einsamkeit und Konzentriertheit vor dem ewi-
gen Wesen”7. Paradiese auf irdischen Bergen finden sich als Lokalisierung des
himmlischen Paradieses, daher vielfach auch Friedhöfe auf Bergen. Auch in der
germanischen Mythologie lag der Himmel der Äsen ehemals auf den Bergen und
wurde erst später in höhere Sphären gerückt. Tote gehen und holen sich ihre Genos-
sen in Berge, in Island lebt noch heute der Familienglaube an das Versterben in ge-
wisse Berge. Die in einsamen Bergkirchen verehrten Heiligen sind vielfach direkte
Nachfolger vorchristlicher Gottheiten8 und das Andenken an die heidnische Gottes-
verehrung konnte nur durch christliche Kapellen und "Wetter kreuze" getilgt werden.
Die Anlagen der Stationswege mit ihren Kalvarienbergen, welche die "Schädel-
Stätte” zu Jerusalem (die ja nur eine recht geringe Geländeerhebung darstellt)
meist an Höhenlage weit überragen - weil sie eben die geschilderte zweite Bedeu-
tung noch in sich bergen fügten sich den genannten Bestrebungen gut ein. Es ist
nachgewiesen, daß viele vorchristliche Kultberge später - ob mit oder ohne Ab-
sicht - einen Passionsweg erhielten. Der Wunsch, eine grandiose Architekturge-
staltung zu erreichen, war kaum die Ursache der Bevorzugung der Berge. Umge-
kehrt aber gab die Wahl des Berges als Andachtsort die Möglichkeit für den Ge-
stalter der geplanten Anlage, eine großartige Schöpfung entstehen zu lassen. Der
Stationsweg zum Käppele in Würzburg ist hierfür eines der hervorragendsten Bei-
spiele geworden.
Eine der frühesten der frei errichteten Kreuzigungsgruppen ist die des Jerusalemer-
berges bei Lübeck aus dem Jahre 1468. Der Stifter, Heinrich Constein, hatte eine
Pilgerfahrt nach Palästina gemacht und alsdann die Gedenkstätte angelegt. Ein
Beispiel einer Kreuzigungsgruppe an einer Kirche ist die von 1501 in Stuttgart, die
ehemals außen an der Chorseite der St. Leonhardskirche stand. Der Kalvarienberg
gehörte als Station XII später zum Kreuzweg der 14 Stationen. Auch bei den ande-
Der Kalvarienberg
Nach dem Berge Kaivaria in Jerusalem benannt, wurden die Kalvarienberge ähn-
lich den Ölbergen vielfach an den Außenwänden der Kirchen, mehr jedoch in der
freien Landschaft errichtet. Als Standort wurden bevorzugt kleinere Hügel, aber
auch die Kuppen höherer Berge gewählt. Eine solche Anlage besteht zunächst aus
dem Kreuze Christi, dann treten hinzu die Kreuze der Schächer und (manchmal
auch nur oder) die sogenannten Assistenzfiguren, nämlich Maria, Johannes und
meist auch Magdalena. Die Wahl gerade der Berge für diese Kreuzigungsgruppen
hat natürlich zunächst ihre Ursache in der Annahme einer Nachbildung des Jerusa-
lemer Kalvarienbergs. "Darüberhinaus bleibt die Gewohnheit, gerade einen Berg
als Gnadenort auszuersehen, innerhalb des bei fast allen Völkern gewohnten
Brauchs; es ist eine Übung fast sämtlicher Religionen der Erde vom frühesten Be-
ginn der Geschichte an bis zur Gegenwart. Der Berg ist immer eine bevorzugte
Lieblingsstätte der religiösen Andachtsübung gewesen, schon als sinnlich deutli-
cher Ausdruck des Erhabenseins über die Niederung, dann als Beförderer inneren
Gesammeltseins, der beglückenden Einsamkeit und Konzentriertheit vor dem ewi-
gen Wesen”7. Paradiese auf irdischen Bergen finden sich als Lokalisierung des
himmlischen Paradieses, daher vielfach auch Friedhöfe auf Bergen. Auch in der
germanischen Mythologie lag der Himmel der Äsen ehemals auf den Bergen und
wurde erst später in höhere Sphären gerückt. Tote gehen und holen sich ihre Genos-
sen in Berge, in Island lebt noch heute der Familienglaube an das Versterben in ge-
wisse Berge. Die in einsamen Bergkirchen verehrten Heiligen sind vielfach direkte
Nachfolger vorchristlicher Gottheiten8 und das Andenken an die heidnische Gottes-
verehrung konnte nur durch christliche Kapellen und "Wetter kreuze" getilgt werden.
Die Anlagen der Stationswege mit ihren Kalvarienbergen, welche die "Schädel-
Stätte” zu Jerusalem (die ja nur eine recht geringe Geländeerhebung darstellt)
meist an Höhenlage weit überragen - weil sie eben die geschilderte zweite Bedeu-
tung noch in sich bergen fügten sich den genannten Bestrebungen gut ein. Es ist
nachgewiesen, daß viele vorchristliche Kultberge später - ob mit oder ohne Ab-
sicht - einen Passionsweg erhielten. Der Wunsch, eine grandiose Architekturge-
staltung zu erreichen, war kaum die Ursache der Bevorzugung der Berge. Umge-
kehrt aber gab die Wahl des Berges als Andachtsort die Möglichkeit für den Ge-
stalter der geplanten Anlage, eine großartige Schöpfung entstehen zu lassen. Der
Stationsweg zum Käppele in Würzburg ist hierfür eines der hervorragendsten Bei-
spiele geworden.
Eine der frühesten der frei errichteten Kreuzigungsgruppen ist die des Jerusalemer-
berges bei Lübeck aus dem Jahre 1468. Der Stifter, Heinrich Constein, hatte eine
Pilgerfahrt nach Palästina gemacht und alsdann die Gedenkstätte angelegt. Ein
Beispiel einer Kreuzigungsgruppe an einer Kirche ist die von 1501 in Stuttgart, die
ehemals außen an der Chorseite der St. Leonhardskirche stand. Der Kalvarienberg
gehörte als Station XII später zum Kreuzweg der 14 Stationen. Auch bei den ande-