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Kramer, Ernst
Kreuzweg und Kalvarienberg: historische und baugeschichtliche Untersuchung — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 313: Kehl, Straßburg: Verlag Librairie Heitz/​Editions Heitz, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.65675#0094
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KIRCHLICHE ENTWICKLUNG UND VORSCHRIFTEN

Wenn in erster Zeit die Kreuzwege wohl in Anlehnung an fromme Bücher und
Passionsdarstellungen entstanden waren, so wurden sie doch immerhin lediglich
vom Stifter bestimmt und waren daher uneinheitlich. Die Kirche nahm sich nur
einiger bestimmter Wege durch Ablaßverleihung an, allgemeine kirchliche Richt-
linien waren in der vorreformatorischen Zeit noch nicht vorhanden. In Jerusalem
seien zwar bereits durch Papst Sylvester (314-335) auf Ansuchen der Hl. Helena
Ablässe für einzelne Passionsstätten gestiftet worden, eine Beglaubigung hierfür ist
jedoch nirgends vorhanden. Erst 1480 und 1489 sind für einige heilige Stätten, je-
doch keinesfalls für den ganzen Kreuzweg (der damals in der heutigen Form in Je-
rusalem ja noch nicht begangen wurde) Ablässe erteilt. Da aber stets große Unsi-
cherheit darüber herrschte, worauf und welche Ablässe erteilt worden seien, be-
stätigt Pius IV 1561 alle, die von seinen Vorgängern erteilt seien, ohne diese je-
doch einzeln zu benennen (250). Stationswege als solche wurden zuerst im Abend-
lande durch Ablässe anerkannt. So bestätigt 1499 der Erzbischof Ernst von Magde-
burg einen Kreuzweg, den der Magistrat von Neuhaldensieben vor den Toren der
Stadt errichten ließ (251). Der gleiche Erzbischof bestätigt dann 1511 einen ähnli-
chen Weg zu Schrotdorf bei Magdeburg (252). Leo X (1513-17) verlieh Ablässe an
zwei Kreuzwege (einer hatte 15, der andere 6 Stationen) bei Innsbruck (253); der-
selbe Papst stattete auch 1516 den Kreuzweg zu Romans mit Ablässen aus.
Es ist also zu erkennen, daß der Kreuzweg an sich nicht mit Ablässen allgemein
verbunden war, sondern daß jeweils besondere Ablässe auf die verschiedenartigsten
Wege, deren Stationenzahl noch schwankte, eigens verliehen wurden. Als aber
örtliche Passionsandachten wie die Andacht der sieben Fälle und die sieben Blut-
vergießen unabhängig entstanden und die Gefahr entstand, daß in starkem Maße
noch mehr legendäre Themen in die Szenen eindringen konnten, wenn sich die
Kirche dieser Andachten nicht annahm, wurden die Franziskaner mit der Betreuung
dieser Andachten beauftragt. Der Franziskanerorden hatte bereits in der ersten
Hälfte des 14. Jahrhunderts die Bewachung der heiligen Stätten in Palästina über -
nommen, die Berechtigung zur Betreuung der Denkstätten im Abendlande war also
hier naheliegend. Ab 1597 wurden besonders zahlreich Kreuzwegablässe durch
Franziskaner überbracht: es war die Zeit der Gegenreformation, als die kirchliche
Propaganda in starkem Maße künstlerische Äußerungen einsetzte und sich auch der
inzwischen zur Volkskunst gewordenen Stationswege im Interesse der Volksmissio-
nierung bediente. Gerade die neben den objektiven Andachtsformen der Liturgie
auftretenden volkstümlichen Religionsübungen wie Passions-, Marien- und Heili-
genverehrung boten Anlaß, die klerikale Kunst mit volkstümlichen Elementen zu
mischen und beiden die Einordnung in die kirchlichen Absichten zu verleihen.
1643 fordert Urban VIII, der den propagandistischen Wert dieser sichtbaren Glau-
benskundgebung in dem noch nicht beendeten Religionskrieg wohl erkannte, die
Franziskaner auf, den Kreuzweg fleißig zu beten.
 
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