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Künstle, Karl; Friedrich <I., Baden, Großherzog> [Gefeierte Pers.]
Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemaeldezyklus zu Goldbach bei Ueberlingen: Festschrift zum 80. Geburtstage seiner koenigl. Hoheit d. Grossherzogs Friedrich von Baden — Freiburg i. Br. [u.a.], 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.7735#0016
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I. Die Kunstgeschichte des Klosters Reichenau im 9. und 10. Jahrhundert.

sein sollte für fränkischen Einfluß im Herzogtum Alamannien 1. Man versteht es
daher wohl, daß der fränkische Hausmaier von seiner Stiftung nicht bloß dem
Alamannenherzog Lantfrid Nachricht gibt, sondern auch dem frommen Grafen
Bertold, dem ältesten Ahnherrn des zähringischen Fürstenhauses2; denn ersterer
hat sicherlich die Kunde von der neuen fränkischen Stiftung mitten in seinem
Gebiet unwillig hingenommen, und der Auftrag, die Schenkung zu vollziehen,
ist wohl im Ernste nur an den Grafen Bertold gerichtet, dessen klosterfreund-
liches Geschlecht uns in den Eisten der Wohltäter von St (iallen und Reichenau
in der Folgezeit so oft begegnet3. Doch vermochte Bertold nicht, Pirmin gegen
die frankenfeindliche Herzogsfamilie zu schützen, und schon im Jahre 727 mußte
der Stifter von Reichenau das alamannische Land wieder verlassen, wie bald
darauf auch Eto, der zweite Abt.

Gewiß waren die Herzöge Lantfrid, Gotfrid, Theodebald, die uns in
kurzer Aufeinanderfolge als Herren von Alamannien genannt werden, keine
Feinde des jungen Klosters an sich; aber sie wollten nicht dulden, daß es von
fränkisch gesinnten Männern geleitet wurde. Lieber mochten sie es sehen,
wenn die Bischöfe von Konstanz sich der Abtswürde bemächtigten, wie es
Ernfrid (736—746), Sidonius (746—759), Johannes (759—781), gewiß im Ein-
verständnis mit den Herzögen, auch taten. Her Bestand des Klosters war damit in
kritischer Zeit gesichert, aber zur Blüte kam es nicht. Erst als Karl der Große
im Jahre 780, wohl nicht zufällig, sondern den Gedanken seines Ahnherrn
wieder aufnehmend, die Aue besuchte, tritt das Inselkloster aus dem Dunkel
hervor, und seine Blütezeit hebt mit dem Manne an, der zeitlebens dem großen
Karl als Beichtvater und Ratgeber nahestand: mit dem Abt Waldo, 786—806.
Vielleicht machte die Königin Hildegard, die ja eine Alamannin war, ihren Gemahl
auf diesen ausgezeichneten Mönch, der in St Gallen als Abt waltete, aufmerksam;
jedenfalls wurde er mit ihm gelegentlich seines Besuches in den Bodenseeklöstern
im genannten Jahre bekannt, und er erblickte in ihm das Werkzeug zur Durch-
führung seiner Anordnungen über Unterricht und Bildung. Zwar zog sich
Waldo 784 infolge der Streitigkeiten mit dem Bischof von Konstanz als ein-
facher Mönch nach Reichenau zurück4, er wurde aber hier alsbald zum Abt
erwählt. Was Reichenau in der Folgezeit Großes geleistet hat, geht in seinen
Wurzeln auf den großen Waldo zurück; und wenn uns die Quellen auch nicht

1 Siehe den rekonstruierten Stiftungsbrief bei Brandi, Reichenauer Urkundenfälschungen iox.

2 Siehe Krüger, Die Herkunft der Zähringer: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, N. F. VI 553 ff;
VII 478 ff. St Galler Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, N. F. III, Exkurs III 232.

3 Siehe Brandi a. a. 0. 105.

4 Ratpertus, Casus S. Galli c. 4 (M. G. SS. II 64), sagt ausdrucklich, daß Waldo mit Genehmigung
Karls resigniert habe. Für das große Vertrauen, das der König in Waldo setzte, spricht auch die Tatsache, daß
er ihm die Bistümer Pavia und Basel Ubertrug. An beiden Orten waren eben Männer nötig, die den Klerus im
fränkischen Sinne beeinflußten.
 
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