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Künstle, Karl; Friedrich <I., Baden, Großherzog> [Gefeierte Pers.]
Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemaeldezyklus zu Goldbach bei Ueberlingen: Festschrift zum 80. Geburtstage seiner koenigl. Hoheit d. Grossherzogs Friedrich von Baden — Freiburg i. Br. [u.a.], 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.7735#0072
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II. Der neuentdeckte karolin^ische (iemäldezyklus.

dekoration vernichtete. Vielleicht hat ein Brand das Dach zerstört, oder aber
man wollte das. Gotteshaus vergrößern, weil man bald nach dem Jahre 874
die Reliquien des hl. Priscianus aus Reichenau erhielt. Oder hat man mit
Rücksicht auf Kaiser Karl den Dicken, der sich um diese Zeit oft in der
Nähe aufhielt und vielleicht in der Kapelle zu Goldbach seine gottesdienst-
lichen Verpflichtungen zu erfüllen pflegte, das Kirchlein am See so reich
ausgestattet ?

3. Kunstgeschichtliche Bedeutung der Goldbacher Gemälde.

IE Bilder am Chorbogen zu Goldbach boten aus dem Gebiete
der frühmittelalterlichen Kunst in Deutschland keine Gelegenheit
zu ikonographischer Vergleichung; dagegen sind uns bei den
Gemälden der Langhauswände so viele verwandte Züge mit dem
Wunderzyklus in Oberzell begegnet, daß es eines umständlichen Nachweises, daß
beide aus einer Zeit und von derselben Schule stammen, nicht mehr bedarf. Ein
Blick auf die Tafeln bei Kraus und unsere Abbildungen genügt, um jeden
Zweifel zu heben. Ich muß allerdings hinzufügen, daß die zuerst genannten
Kopien an Genauigkeit der Aufnahme sehr viel zu wünschen übrig lassen; und
die große Tafel I—III gibt die Earbenwerte ganz falsch wieder. Trotzdem ist
der aufmerksame Beschauer, auch wenn ihm die Originale von Oberzell nicht
bekannt sind, in der Lage, auf Grund der Kopien ein sicheres Urteil zu fällen,
denn der hallenartige Hintergrund, die Szenerie in der Erweckung des Jüng-
lings von Naim und dem Sturm auf dem Meere, die Gewandung der Juden
stimmen in beiden Zyklen so genau miteinander überein, wie man es nur selten
beobachten kann. Die Enge des Raumes nötigte den Goldbacher Meister, auf
die architektonischen Hintergründe, welche die Oberzeller Bilder so feierlich
umrahmen, zu verzichten und die Apostel nur in einer schmalen Ecke sichtbar
werden zu lassen. Haben die Oberzeller Bilder den Vorzug, daß sie in der
ganzen Bildfläche erhalten sind, so. stehen sie hinter den Goldbachern darin
zurück, daß sich kein einziger Gesichtstypus mehr deutlich erkennen läßt. Man
kann nur aus den äußeren Konturen noch entnehmen, daß die Gesichter der
Apostel länglich, hager und teilweise bebartet sind. In Goldbach dagegen sind
diese ganz erhalten. Die rundlichen, vollen Köpfe sind mit großem Geschick
gemalt und von so antiker Auffassung, daß man versucht sein könnte, den
Goldbacher Zyklus für älter zu schätzen als den Oberzeller. Allein bei der
Identität der Christusfigur in beiden Kirchen und den schon berührten Über-
einstimmungen in der kompositionellen Anlage muß unbedingt daran fest-
gehalten werden, daß wir es mit den Erzeugnissen einer Schule und vielleicht
einer Hand zu tun haben.
 
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