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Künstle, Karl; Friedrich <I., Baden, Großherzog> [Gefeierte Pers.]
Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemaeldezyklus zu Goldbach bei Ueberlingen: Festschrift zum 80. Geburtstage seiner koenigl. Hoheit d. Grossherzogs Friedrich von Baden — Freiburg i. Br. [u.a.], 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.7735#0022
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I". Die Kunstgeschichte des Klosters Reichenau im 9. und 10. Jahrhundert.

Auch die Kirche von Reichenau-Niederzell, wo Egino, resignierter Bischof von
Verona, im Jahre 802 sich ein Eigenkloster mit Kirchlein erbaute (Bild 3, S. 7),
ist von Adler und Kraus, die in den Ostpartien noch die ursprüngliche Kirchen-
anlage sehen, unrichtig datiert worden. Wenn man lediglich auf den Grundriß
schaut, wie ihn Adler entwirft, kann man allerdings auf diese Meinung kommen h
Untersucht man jedoch, wie Beyerle und ich tun konnten2, das Mauergefüge
durch Abklopfen des Verputzes, so erkennt man, daß Chor und Langhaus aus
einer Zeit, nämlich der frühromanischen Bauperiode, stammen. Vom Bau Eginos
ist in der Ostpartie nur die Grundrißanlage erhalten, die man in den Neubau aus
der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts herübernahm. Dadurch entstanden der
lange Chorraum und die beiden Seitenkapellen. Vielleicht war ein Neubau der
Kirche und des Klosters zu Niederzell im Anfang des 1 1. Jahrhunderts deswegen
notwendig geworden, weil viele Mönche das Hauptkloster in Mittelzell verließen,
als Heinrich II. «feofen den Willen der Klosterinsassen hier fremde Abte ein-
führte, so Ymmo und Berno, die beide aus Prüm stammten.

Von den übrigen Kirchen und Kapellen, die im Verlaufe des 9. und 10. Jahr-
hunderts außerdem auf der Insel gebaut wurden: von der Kilians-, Erasmus-,
Januarius-, Pirminskapelle, von der Pelagius- und der Johanniskirche, handeln wir
hier nicht, da sie alle verschwunden sind.

3. Die Wandmalereien3.

S gab in der karolingischen und ottonischen Zeit kaum eine größere
Kirche, zumal im Gebiete reicher Abteien, die nicht mit monu-
mentalen Wandmalereien geschmückt worden wäre. Die großen
Mauerflächen über den Mittelschiffsarkaden verlangten gebieterisch
nach einem solchen Schmuck, zumal sie nicht wie in der romanischen Bau-
periode durch eine reiche Eensterarchitektur, durch Lisenen und andere Zier-
stücke gegliedert oder, wie im 12. Jahrhundert, durch die an ihnen aufsteigenden
Halbsäulen als Gewölbeträger belebt wurden. Wenn ich mich zum Beweise
für die Wahrheit dieses Satzes auch nicht auf überlieferte Monumente berufen
kann, so sind doch gerade für diese Zeit eine überraschende Fülle von Schrift-

1 A. a. O. Blatt II.

2 Die Pfarrkirche St Peter und Paul in Reichenau-Niederzell und ihre neuentdeckten Wandgemälde,
Freiburg i. Br. 1901, 11 ff.

3 Vgl. K. F. Leitschuh, Geschichte der karolingischen Malerei, ihr Bilderkreis und seine Quellen,
Berlin 1894; J. v. Schlosser, Schriftquellen zur Geschichte der karolingischen Kunst, Wien 1892 (Quellen-
schriften zur Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Neuzeit, N. F. IV); F. X. Kraus,
Die Wandgemälde der St Georgskirche zu Oberzell auf der Reichenau, Freiburg i. Br. 18S4; A. Springer,
Die deutsche Kunst im 10. Jahrhundert: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst III 201 ff, abgedruckt
in «Bilder aus der neueren Kunstgeschichte» I 113 ff.
 
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