Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Künstle, Karl; Friedrich <I., Baden, Großherzog> [Gefeierte Pers.]
Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemaeldezyklus zu Goldbach bei Ueberlingen: Festschrift zum 80. Geburtstage seiner koenigl. Hoheit d. Grossherzogs Friedrich von Baden — Freiburg i. Br. [u.a.], 1906

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7735#0054
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

II. Der neuentdeckte kurolingische Gemäldezyklus.

stoßend das einschiffige Langhaus, 10,24 m lang, 6,18 m breit, etwa 4,50 m
hoch; dazu das Atrium, 5,66 m lang und 5,20 m breit.

Dieser Grundriß erinnert viel mehr an eine altchristliche Kirchenanlage
als an einen romanischen Bau; aber eine genaue Datierung ist bei gänzlichem
Mangel an architektonischen Zierformen unmöglich. Jedenfalls erwecken Wand-
gemälde, die auf dem ursprünglichen Verputz eines so altertümlichen Kirchleins
zu Tage treten, das höchste Interesse, zumal die Apostelbilder im Chor, der doch
erst einer dritten Bauperiode angehört, von den Kennern zu den ältesten bis-
her bekannt gewordenen Erzeugnissen kirchlicher Monumentalmalerei diesseits
der Alpen gerechnet werden.

2. Der neue Bilderfund.

CHON nach Aufdeckung der Apostelbilder im Chor der Goldbacher
Kapelle im Jahre 1899 erschien es uns höchst wahrscheinlich, daß
auch die Wandflächen des Langhauses Darstellungen aus der nämlichen
Zeit enthalten müßten. Kunstmaler Mezger aus Überlingen suchte
durch Abschaben mit dem Messer lange vergebens, so daß wir sehen
alle Hoffnungen aufgaben. Als ich im Sommer 1904 an den Bodensee kam,
überraschten mich meine Freunde mit der Nachricht, daß die lau»' gesuchten
Bilder des Langhauses gefunden seien. Im genanntem Jahre erhielt nämlich der
Vorstand des erzbischöflichen Bauamtes in Konstanz den Auftrag, den Chor
zu renovieren. Die später eingebrochenen häßlichen Fenster sollten entfernt
und durch die ursprünglichen Lichtöffnungen von der Form, wie sie unter dem
Verputz des Langhauses zu Tage getreten waren, ersetzt werden. Diese mußten,
um ein Modell zu haben, vollständig bloßgelegt werden. Bei dieser Gelegenheit
stellte es sich heraus, daß die Langhauswände in ihrem oberen, später auf-
gesetzten Teil einen Bilderfries trugen, der unter einer mehrere Zentimeter
dicken Putzschichte verborgen war. Mit dieser hat man die Bilder wohl im
15. Jahrhundert, als die gotischen Fenster eingesetzt wurden, überzogen, um
eine glatte Innenseite herzusteilen, weil die oberen, also jüngeren Wandteile
stark hinter die ursprünglichen Umfassungsmauern zurücktraten.

Zunächst entdeckten wir zwei miteinander parallel laufende horizontale
Mäanderstreifen: einen größeren aus blauen und roten Bändern bestehend, unten
und oben von einem gelben Streifen eingefaßt; darunter auf einem schwarzen
Streifen Reste einer Inschrift in klassischen Kapitalbuchstaben (Bild 19). Der zweite,
etwas tiefer sitzende Mäanclerstreifen ist aus gelben und braunen Bändern gebildet
und von ebensolchen schwarz umrandeten Bordüren eingeschlossen; die schwarzen
Hintergrundsdreiecke sind mit weißen Tupfen ausgefüllt (Bild 20). Anfänglich
erlaubten wir, daß der !>roße Mäander mit den Tituli zu dem an den oberen
 
Annotationen