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Künstle, Karl; Friedrich <I., Baden, Großherzog> [Gefeierte Pers.]
Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemaeldezyklus zu Goldbach bei Ueberlingen: Festschrift zum 80. Geburtstage seiner koenigl. Hoheit d. Grossherzogs Friedrich von Baden — Freiburg i. Br. [u.a.], 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.7735#0030
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IÖ I- Die Kunstgeschichte des Klosters Reichenau im 9. und 10. Jahrhundert.

Entwicklungsreihe der Reichenauer Kunst: der Zyklus der Wunder Christi und
das Jüngste Gericht in Oberzell gehören dem 9., die Parabeldarstellungen und
das Gerichtsbild in Burgfelden dem 10., und das Apsidalbild in Niederzell
dem 11. Jahrhundert an.

In diesen reichen Kranz Reichenauer Bilder aus dem 9. —11. Jahrhundert
muß jetzt noch eine ganz kostbare Blume, der neu entdeckte Zyklus im
Langhaus der Goldbacher Kapelle, eingeflochten werden. Doch soll vorher noch
die Kunstgeschichte der Insel auf einem andern Gebiete geschildert werden.

4. Die Reichenauer Miniaturmalerei1.

fÜR die Entwicklung der Klosterkunst des frühen Mittelalters ist
stets die Reihenfolge zu beobachten, daß man zuerst große Gottes-
häuser baute und sie alsdann mit monumentalen Gemälden versah;
die reiche Pracht des Gottesdienstes, die sich hier entfaltete, ver-
langte bald auch nach kostbaren liturgischen Büchern. Für kein
Kloster läßt sich die Entwicklung des Bücherwesens so genau verfolgen wie für
Reichenau, wo der Mönch Reginbert in der Zeit von 786 bis 842 der Bibliothek
vorstand2 und mit eigener Hand eine ganze Reihe von Handschriften schrieb,
die uns noch in guter Anzahl erhalten sind. Merkwürdigerweise hat er keine
einzige mit Miniaturen versehen, wie denn überhaupt meines Wissens kein
Augienser Bilderkodex aus der Zeit vor der Mitte des 10. Jahrhunderts existiert.
Erst um diese Zeit verlegten sich die Mönche des Inselklosters auf die Miniatur-
kunst, und die Augia dives wird, wie sie im 9. Jahrhundert die berühmte
Zentralstätte für monumentale Malerei war, im 10. zur gloriosen Schule kirch-
licher Kleinkunst, in der man die liturgischen Bücher mit einem reichen neu-
testamentlichen Bilderkreis, nicht nur zum eigenen Bedarf, sondern auch im
Auftrage fürstlicher Mäzenaten, versah.

Kraus hat das Verdienst, auch diesen Zweig der Reichenauer Kunst durch
die Publikation des Codex Egberti in das gebührende Licht gesetzt zu haben.
Nach ihm brachte Oechelhäuser in seiner Untersuchung über das Petershainer

1 Vgl. F. X. Kraus, Die Miniaturen des Codex Egberti in der Stadtbibliothek zu Trier, in unver-
änderlichem Lichtdruck herausgegeben, Freiburg i. Br. 1884; Steph. Beissel, Die Bilder der Handschrift des
Kaisers Otto im Münster zu Aachen, in XXX unveränderlichen Lichtdrucklafeln herausgegeben und mit den
Bildern der Evangelienbücher von Trier, Gotha, Bremen und Ilildesheim verglichen, Aachen 1886; A. v. O e c h e 1-
häuser, Die Miniaturen der Universitätsbibliothek zu Heidelberg, I. Teil, mit 18 Tafeln, Heidelberg 1887;
W. Vöge, Eine deutsche Malerschule etc.; H. V. Sauerland und A. Haseloff, Der l'salter Erz-
bischof Egberts von Trier, Codex Gertrudianus in Cividale, mit 62 Lichtdrucken, Trier 1901 (Festschrift der
Gesellschaft für nützliche Forschungen zu Trier zur Feier ihres hundertjährigen Bestehens, herausgegeben am
10. April 1901).

2 Vgl, Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter l7 275.

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