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Künstle, Karl; Friedrich <I., Baden, Großherzog> [Gefeierte Pers.]
Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemaeldezyklus zu Goldbach bei Ueberlingen: Festschrift zum 80. Geburtstage seiner koenigl. Hoheit d. Grossherzogs Friedrich von Baden — Freiburg i. Br. [u.a.], 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.7735#0031
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I. Die Kunstgeschichte des Klosters Reichenau im 9. und 10. Jahrhundert.

17

Sakramentar eine Reihe anderer Handschriften -mit unserer Schule in Beziehung.
Alsdann hat Vöge mit der größten Sorgfalt etwa zwanzig illustrierte Kodices
untersucht und ihre enge Zusammengehörigkeit festgestellt; den Ort ihrer Ent-
stehung selbst konnte er nicht mit Sicherheit bestimmen. Das gelang Haseloff,
der, von der Trierer Gesellschaft für nützliche Forschungen beauftragt, den
Codex Gertrudianns in Cividale nach seiner kunstgeschichtlichen Seite zu be-
handeln, den Nachweis erbrachte, daß dieses Psalterium, was andere schon
vermuteten, sicher reichenauischen Ursprungs ist, und daß im Perikopenbuch
von Poussay, jetzt in Paris, eine Schwesterhandschrift vorliegt. Von hier aus
auf dem Wege ikonographischer und stiltechnischer Vergleichung fortschreitend,
kam er zu dem überraschenden Resultat, daß die ganze Vögesche Gruppe in
Reichenau in der letzten Hälfte des 10. und in den ersten Jahren des 11. Jahr-
hunderts entstanden ist.

So kennen wir jetzt etwa dreißig Handschriften aus der ottonischen Zeit
mit reichen Zierblättern und einem entwickelten neutestamentlichen Bilderkreis,
die alle in der Reichenauer Zentralschule etwa in der Zeit von 960 bis 1010
gemalt sind. Da ihre zeitliche Aufeinanderfolge nicht feststeht, so ordne ich
sie nach sachlichen Gruppen.

a) Kirchliche Vorlesebücher.

Vielleicht die älteste Handschrift nicht bloß dieser Gruppe, sondern der
gesamten Miniaturkunst des Klosters Reichenau in der zweiten Hälfte des
1 o. Jahrhunderts überhaupt, liegt in dem Perikopenbuch der großherzoglichen
Bibliothek zu Darmstadt Nr 1948 vor, das in der Spätzeit Ottos des Großen
für Erzbischof Gero von Köln (969---976) geschrieben wurde1. Es zeigt
nur sieben Vollbilder: zwei Widmungsblätter, eine Maiestas Domini und die
vier Evangelisten. Bereits Oechelhäuser hat den Zusammenhang dieser Ge-
stalten mit den karolingfischen Prachthandschriften erkannt, und Haseloff zeiet
des näheren, daß die Widmungsbilder aus den Handschriften von Hrabans Ge-
dicht De laudibus sanctae crucis» zurecht gemacht und die Figuren Christi
und der Evangelisten nach Vorlagen in der Ada-Gruppe komponiert sind. Schon
diese offensichtliche Abhängigkeit und noch mehr der Mangel eines neutesta-
mentlichen Bilderkreises, wofür dem Maler in den karolingischen Evangelien-
büchern keine entwickelten Vorlagen zu Gebote standen, läßt erkennen, daß
wir an den Anfängen der Schule stehen. Was spätere Maler über den Erlöser
in einer reichen Bildfolge neutestamentlicher Szenen zu sagen wissen, das faßt
der Maler des Gero-Kodex in seiner jugendschönen Christusgestalt zusammen,
die er mit allem umgibt, was ihm an dekorativem Geschick zur Verfügung1

1 Vgl. v. O e c h e 1 h ä use r a. a. O. 14 ff u. Taf. 9 ; Haseloff a. a. O. 119 IT 126 ff 131 ff 162 ff u. Taf. 62.

Künstle, Kunst des Klosters Reichenau. 3
 
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