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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 1.1921

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Heft 2 (1. Jahrgang April 1921)
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Kolb, Gustav: Etwas über Matthias Grünewald: ein Beitrag zur Kunstlehre$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.20810#0027

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Etwas über Matthias Grünewald

(Ein Beitrag zur Kunstlehre)

Es ist merkwürdig/ mau kann aber auch sagen
echt deutsch, daß der Ruhm deä großen Meisters
,n immer breitere Schichtcn des Volkes zu dringen
beginnt, nachdem rvir sein großes Werk den Fran-
zosen ausliefern mußten. Ja, den Franzosen! Denn
wir werden es vielleichk noch erlebcN/ daß man den
Isenheimer Altar in den Louvre holt und daß fran-
zösische Kunstgelehrte (so ein tvläle etwa) haarscharf
beweisen, daß er eigentlich ein Franzose gewesen sei.
Und man wird dann jedsnfalls seine ^Barbarismen"
(stehe Huysmans) als besondere »Kühnhekten des
gallischen Genkes" preisen. Und die Deutschen?
Nun dke werden das alles dann bald selber glauben —
und Grünewald wird wieder' vergeffen sekn wke
zuvorl — Heute aber ist, wie gesagt, sein Ruhm im
Stekgen. Selbst die eingesteischtesten Anhänger des
«Laokoon' unter den ^hilologen halten ihn wert,
daß man thn kn der Schule ^behandelt", obwohl
die Lehre, dke heute noch in der Mehrzahl unserer
Gymnasien im ^Kunstunterricht" verzapft wird, daß
die Kunst dke Aufgabe habe, das Schöne nachzu-
ahmen, dadurch einen bedenkltchen, man sollte meinen,
einen tödlichen Stoß erhält. (Wkrd übrigens nicht
so schlimm sein! Wenn die Schüler dazwkschen
hinein so nebenbek einmal auch den Grünewald »ge-
habt" haben, wkrd man umso mehr zu den „flcheren
Glaubenssätzen" des »Laokoon" zurückkehren können.
Denn dke Deutschen stnd gründlich. und beherzigen
das Worte: Halte, was du hast!) Ia dke Deutschen! —
Wir Zekchenlehrer wollen uns von dem allen nicht
anstecken laffen und wollen auch nicht tns andere
Ertrem verfallen, das eben modisch zu werden be-
ginnt, nämllch, daß man Grünewald nunmehr den
größten deutschen Künstler nennt, den wir je ge-
habt haben. Darin liegt wkeder ekn blnrecht gegen
Dürer und Holbein. Warum gleich lozieren! Fever kn
seiner Art ist ein Großer. Freuen wir uns deffen!

Merdkngs wächst die Gestalt Grünewalds, wenn
wir über die Fahrhunderte zurückblicken, neben den
anderen schon deshalb ins Große, weil er sich dem
italienischen Formwillen nicht unterwarf wie diese.
Nicht als ob er die neue Sonne, dke damals über
dke Alpen kam und die unserer Kunst nicht nur
alle frischen Triebe, sondern auch die Wurzeln zu
versengen drohte und schließlich versengte, nicht ge-
kannt hätte! 2m Gegenteil: Man nimmt heute wohl
mit Recht an, daß ihn seine Wanderjahre auch
nach Italien geführt haben.

Aber er blieb deutsch bis in dke lehte Faser
seines Wesens. Er hatte wohl angesichts der formen-
schönen italkenischen Werke den trohigen Entschluß

gefaßt und hcimgetragen: Das ist nichts für mich,
das wird nicht nachgemacht! Diesem Entschluß blieb
er treu, trotz der Modeströmungen um ihn. Und
er nahm alle äußeren Nachteile, die immer damit
verbunden sind, wenn man nicht mit dem »Neuesten'
geht, mutig hin. Wir sehen in seinen Werken nicht
das leiseste Schwanken. Wenn nicht ab und zu
ein leiser Anklang im Formalen (siehe den Hl. Se-
bastian) oder eine kleine Zutat, wie etwa dke
Säulchen am Baldachin des Engelkonzertes am
2senheimer Altar, dke halb gotifch, halb renaissance
flnd, von der neuen Formcnsprache zeugen würde:
wir wüßten nkcht, daß er dle verführerische welfche
Kunst gekannt hätte.

Einen solch mutkgen, starken, echt deutschen
Künsrler müssen wir unserer Iugend gerade heute,
da wir vaterländisches Gefühl nötkger denn je
haben, nahe zu bringen suchen. Es soll unserem
Bewußtsein nie mehr entschwinden, daß er mtt
Dürer, Holbein, Bach, Beethoven, Schiller und
Goethe zu den ganz Großen gehort, die von
den wunderbaren Kunstkräften zeugen, die das
deutsche Volk in sich birgt und die wir heuke wkeder-
erwecken möchten.

Freilich ist dke Deutung Grünewalds nkcht ge-
rade einfach, namentlich nicht in der Schule. Vorn-
weg muß auch darauf hingewkesen werden, daß
nur eine gute farbige Wiedergabe kn das Wesen
seiner Kunft eknführen kann. Llchtbilder genügen
also nicht. Vun gibt es allerdings eknige billige
farbige Ausgaben des Isenheimer Altars, auf dke
wir im vorigen Hest hinwiesen. Es wird deshalb
keiner Schule unmöglich sein, eines dkeser Werke
anzuschaffen, dke wemgstens eknen groben Eindruck
seiner farbigen Erscheinung vermitteln. Allerdings
beschlekcht mich ein drückendes Gefühl, wie ich das
hier niederschreibe. Denn der Sinn jÄr feine Werte
wird durch sie nkcht geweckt. Und das wollen und
müffen wir doch in erster Linie. Deshalb wäre
sehr zu wünschen, Laß die Bruckmann'sche Ausgabe,
die wir im letzten Heft eingehend würdigten, in
recht vielen Schulen Eingang finden würde. 2n
kleineren Städten wäre es okelleicht möglich, daß
die verschiedenen Schulen das Werk gemeinschastlkch
erwerben würden. Erst an der Hand dieser Wieder-
gabe, die mit aller Sorgfalt ausgeführt ist und
auch die Größe hat, die zur schulmäßigen Vor-
führung nötig ist, kann man die Schüler so recht
in das Wesen der Grünewald'schen Kunst einführen.

Worin lkegt nun das Wesen unseres Meisters ?
2ch finde, es enthüllt sich uns kn seltsamen Wider-
 
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