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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 1.1921

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Heft 2 (1. Jahrgang April 1921)
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Kolb, Gustav: Etwas über Matthias Grünewald: ein Beitrag zur Kunstlehre$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.20810#0029

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28

aus der Welt der äußeren Erscheinung. Er be-
obachtet die atmosphärischen Licht- und Farben-
erscheinungen, besonders die auffallenden und seltenen,
z. B. die des Regenbogens, die iristerenden der
Seifenblasen, die phosphoreszierenden am Faulholz.
Er kennt Vas alles ganz genau und verwendet es,
um seine inneren Gesichte zu geskalten und mit
wundersamem, märchenhaftem Glanze zu verklären.

Der schon genannte Huysmans nennt die „Auf-
xrftehung" mit Recht ein mystisches Farbwunder:
„Wir erraten durch Vermittlung von Farben und
Linien die Ergieszung und Ausbreitung der Gott-
heit, die beim Austritt aus der körperlichen Hülle
beinahe greifbar ist.' Der Franzose fühlt die über-
wältigende Kraft unferes Meisters und feine Lob-
preisungen sind manchmal geradezu überschwängliche
Dichtungen. Wenn er aber von ihm sagt, er fei
„ xiu Barbar des Genies, der farbige Gebete in
ursprünglkcher Mundart, in einer ihm eigenen Sprache
hinausschreit", so wollen wir gern annehmen, daß
er das Wort »Barbar" nicht in dem unangenehmen
Sinn gebraucht, der den Franzosen uns gegenüber
so geläufig ist, sondern daß er die Ursprünglichkeit und
Naturwüchsigkeit unseres Meisters kennzeichnen will.

Die Farbe ist auch noch mehr als die Form
das Mittel, mit dem Grünewald seine Gestchte
ordnet, „komponiert". Wer da glaubt, dieser.wilde
Mann" habe seine himmlischen und grauflgen Ge-
sichte, wie sie ihm eingegeben wurden, in rasendem
Eempo auf die Bildtafel geschleudert — und manche
meinen das — der ist im Irrtum. Vtelmehr finden
wir bei näherem Zusehen, daß dem Ganzen sowohl
wie dem Eknzelnen ein wohlbedachter Plan zugrunde
gelegt kst. Klug und vorsichtig wägender Kunstver-
stand und schöpferischer Gestaltungswille und Ge-
staltungskraft halten sich dabei Vie Wage. Welch
ein Gegensatz: auf der einen Seite dieser blbsr-
schwung an heftig erregten Gefühlen, auf der
anderen Seite solch kluge Beherrschtheit! Der
Widerspruch ist aber auch hker nur ein scheinbarer.
Iede Ausdruckskunft — und fe mehr sie innerlich
Erlebtes ausdrücken will — muß streng im Ordnen
und Aufbau sein. Starke seelische Inhalte ver-
langen nach gebändigter Form, damit sie nicht aus-
einanderströmen. Wir sehen das wieder bei den
Kompositionsbemühungen der neuzeitlichen Erpressto-
nisten.

Auf keinen Fall aber hat Grünewald seine Werke
kühl „errechnet", sondern er hat die überlieferten,
Samals in den Malerwerkstätten geübten Gesehe
)er Bildkomposition — wir können solche ja bei
rllen Meijtrrn feststellen — intuitiv auf seinen be-
onderen Fall angewendet. Er unkerscheidet sich da-
>urch grundjätzlich von Dürer, der auf begrifflichem

Wege durch Rxchnen und Messen neue Kompositions-
gesetze suchte.

Grünewald weiß aber vortrefflich in großen und
kleinen Farbslecken zu komponieren. Bald stellt er
sie in zusammenklingenden Harmonken (z. B. das
wundervoll zusammengeftimmte Rotgelb und Blau-
rot der Gewänder des Engels der Verkündigung),
bald in kraftvollen Gegensätzen zusammen. Der
parallelismus der Formen und Farben, ein uraltes
Kunstmittel, das Hodler in unserer Ieit wieder
zuerst bewußt verwendete, ist eines der beliebtesten
Kompositionsmittel Grünewalds. Es lohnt sich schon,
daraufhin die Tafeln von Isenheim durchzusehen,
wobei man allerdings immer das Mittelbild und
setne beiden Flügel (bei der Kreuzigung außerdem
noch die predella mit der Beweinung) zusammen-
sehen muß. Da wird man finden, wie häufig Farb-
flecken stch in Rkchtung und Ausdchnung an ver-
fchkedenen Orten wiederholen. Dadurch gewknnt die
Komposttion Gebundenheit und rhythmischen Zu-
sammenklang als notwendiges Gegengewkcht zu der
starken inneren Spannung, die sich überall in
Farb- und Formgegensätzen aussprichk.

Nberhaupt dkese Gegensähe! Sie stnd des Meisters
eigentlichstes Element und offenbaren sein fast un-
heimlich leidenschaftliches Empfindungsleben. Wie
reich ist seine Farbenorgel an Registern! Wie leuchten
aus dem warmen Dunkel, das er ausgkebig ver-
wendet, die hellen Scharlach-, Zinnober- und Gold-
flecken! Wie wundervoll rein und überirdisch schön
spannt sich der grünlkchblaue Himmel mit den rosig
weißen Sommerwolken über dem grausigen Ge-
tümmel der Dersuchung des heiligen Antonkus!
Der aufgelösten, erregten Form des Engels der
Verkündigung steht öie ruhige Maffe der in dunkles
blaues Grün gekleideten Maria gegenüber. Aber
daneben wiederholt flch der warme Farbfleck des
Engels links im roten Vorhang — also Gegensatz
neben Gleichgewicht. So komponiert der Meister
alles mit Farbflecken durch. Das Emxorschweben
des Auferstandenen wird durch die Gegenbewegung
des Leichentuches (in der Diagonale von links nach
rechts) und der Füße samt dem unteren Tetl des
Mantels (in der anderen Diagonale) ausgedrückt.
Beide Diagonalen fügen stch dann der kreisenden
Bewegung der Aureole, die das Haupt des Auf-
erstandenen umgibt, ein.

Wir werden unseren Schülern gelegentlkch auch
Einiges über das Handwerkliche der Malkunst
unserer alten Meister erzählen: wie ekne Bildtafel
von den riesigen Ausmaßen des Isenheimer Altars
aus tzolz hergestellt, mehrfach verleimt werden muß,
damit fie sich nicht „wirst". Ferner wie die alten
Meifter den Malgrund sorgfältkg auftrugen und
 
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