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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 1.1921

DOI Heft:
Heft 3 (1. Jahrgang Mai 1921)
DOI Artikel:
Hartlaub, Gustav Friedrich: "Der Genius im Kinde"
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https://doi.org/10.11588/diglit.20810#0044

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42 .- —— ' —

von Ceylorr bis Schwedrn im wesenclichen dke
gleiche, unö zwar gan; besonders da, wo sich das
Schaffen dkeser primitiven auf kindliches Spiel-
gerät bezieht und somit gleichsam eine doppelte
Beziehung auf das Kindheitliche gegeben ist. Sehr
deutlich unterscbeidet sich von solchem einfachen Spiel-
gerät und Bildwerk das Spielzeug mehr nach-
ahmenden, gleichsam naturalistischen Lharakters.
Spielzeuge des l8. Iahrhunderks sind wie Bipp-
sachen zum Aufstcllen unö Beschauen. Sie geben
dem Kinö das abgeschloffene in sich fertige Bild
seines späteren ständisch und gesellschastlich bedingten
Daseins als Erwachsener. Mit solchem Spielzeug
in der Hand oder vor Augen, hat das Kind keinen
größeren Ehrgelz als recht bald ein großer Herr,
eine vollkommende Dame zu werden. Mit jenem
anderen bauerischen oder erotkschen Gerät fuhlt es
sich dagegen in feiner ekgenen, gleichsam zeitlosen
und bis zu einem gewiffen Grade auch gesellschaft-
lich bedingungslosen Welt. Es ist bei sich zu Hause,
in sich beschloffen, nicht pfeil sondern Kugel (um
einen Gundolf'schen Vergleich zu benutzen) nicht
fortschreitend und auf das „Leben' sich vorbereitend,
sondern im Gegenteil von dem unbewußten Wunsch
beherrscht, in seinem Kinderparadkes zu verharren.
Dieses paradies schafft es sich selbst. Die Gegen-
stände, die es sich als Spielzeug und Anschauungs-
material wünscht, bilden nur dke Baustekne und
Elemente, die erst durch die gestaltende und beseelende
Einbildungskrast des Kkndes Leben und Form ge-
winnen. Die im korrekten Rokokostil kunstvoll
ausgedachte, recht zerbrechliche Karoffe zwingt das
Kind immer zu ein und derselben Anwendung.
Das charakteriftisch bunte, grob gezkmmerte Wägelchen
kann ihm dagegen heute die Equipage einer prin-
zessin, morgen das Gefährt eines zur Stadt fahren-
den Landmannes bedeuten. Aus der fetischartig
anmutenden 5)ol;sigur kann heute vor seinem inneren
Blick ekn Gott, morgen ein Säugling werden,
während die naturgetreu kostümierten und modellkerten
Babys der Käthe Kruse immer nur das eine be-
grenzte Elnzelwesen darzustellen vermögen.

Ergeben sich so von der Perspektive des spon-
tanen kindlichen Schaffens her bemerkenswerte Auf-
schlüffe für den Hersteller von Spielzeugen, — War-
nungen insbes. für diejenigen, dke aus gewollter
Naivitäl ihre Puppen und Fkguren auf den Aus-
druck einmaliger Komik festlegen und fo nur Ulk-
unS Witzfiguren für Gelegenheiten, nicht für die
Zeitlosigkeit hervorbringen, — so sind die Auft'chlüsse
nicht minder wichtig, die sich aus der Beobachtung
des Kinderwerkes für seine ErziehungimZeichen-,
Modellier- und Handfertigkeitsunterricht
ableiten lassen. Auch hier gibt es gleichsam zwei

Aufgaben und zwei Methoden, die mkndestens
einmal grundsätzlich von einander getrennt zrc werden
verdienen. Die ekne, verbreitetere Art des Zeichen-
unterrichts ist, wie sich aus der Betrachtung des
Lehrplanes ohne Weiteres ergibt, durchauS auf dem
Grund deS neuzeitlichen Fortschritts- und Entwick-
lungsdogmas erwachsen. Das Kind soll, wie in
allen Unterrichtszweigen, so auch im Zeichenunter-
richt auf das Leben »vorbereitet", für das Leben
^ertüchligt" werden. Es gilt also, dem Knaben
oder Mädchen bereits die Grunölagen derjenigen
Kenntniffe unS Techniken zu vermitteln, dke zur
fertkgen Kunftausübung des Erwachsenen gehören.
Das Klnd foll, nachdem es gelernt hat, die Hand
dem bewußten Willen zu unterjochen, dke Gesetze
der raumlichen Erschelnungen, Schattengebung und
dergl. mehr beherrschen lernen. Es soll an der
Natur oder an der Vorlage die normalen Großen-/
verhältnisse studkeren und schließlich dahin kommen,
krgend eknen Gegenstand »richtkg' wiederzugeben.
Bestenfalls soll zur Anekgnung dieser rekn nach-
ahmenden Fertigkeiten noch eine gewiffe Geschmacks-
schulung gewonnen werden, wie sie etwa durch die
Vorlage klassischer Gipsabgüsse, oder beffer durch
hübsche Ansichten aus der Llatur erreicht wird. ,
Darin besteht oft dke „Erziehung des Kindes zur '
Kunst', welche nichts anderes ist, als eine Unter-
drückung der künftlerisch spielenden Eigentriebe des
Kindes durch die beim Schaffen der Erwachsenen
gültlgen Gesetze. Dke Mannheimer Ausstellung
führt uns demgegenüber kn das Kindheitsreich selbst
und zelgt an den proben spontanen Zekchnens,
Malens und Bildens verschieden begabter Kinder'
aller Altersstufen, Stämme und Volksschichten, daß
hier ekne andere Gesetzmäßigkeit waltet, als kn der
Kunst der Erwachsenen. Es erweist sich mit aller
Drutlkchkekt, daß das normale, d. h. wahrhaft ^kind-
haste" Kind, wenn nkcht Sonderbegabungen vor-
liegen, dke Unterwerfung unter Sie Vaturbeobachtung
und die Befolgung bestimmter Darstellungsvor-
schristen zumeist als einen lästigen und unnützen
Zwang empfindet. Das Kind arbeitet ohne An-
leitung sehr selten nach der Batur, fast stets wirt-
schaftet es mit mehr oder weniger abgekürzten Er- s
knnerungsbkldern, mit denen es ekn Erlebnis schrkst-
artig erzählen will, wobei der noch ungebrochen in j
ihm wirkende natürliche Rhythmus die Stelle des
bewußt ordnenden künstlerischen Geschmacks vertrktt.
Es ift keineswegs gesagt, daß dke vkelen, tsilweise
völlig verblüffend, ja manchmal wke ein „Wunder'
wirkenden Offenbarungen des kindlkchen Genius in
der Ausstellung völlig unbeeinflußt^entstanden sind
Im Gegenteil sind gerade die schönsten, originellften
Arbekten von Künstlerkindern geschaffen wor-
 
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