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N°. 51

K u n st - B l a t t.

Donnerst« g, 25. Juni 1329.

U e b e r K u n st u r t h e i l.
ui.

(Fortsetzung.)

Wenn der Freund der Kunst sich beym Anschauen
und Benrtheilen von Kunstwerken frey von Autorität zu
erhalten weiß und zugleich jedes dargedotene Bild nicht
blos einseitig von seiner formalen oder materialen Seite
anzufaffen, sondern in seiner Totalität, in der Harmonie
seiner vielen Theile und Beziehungen anzuschauen sucht,
so wird er sich zwar immer behutsamer und zurückhalten-
der in seinen Urtheilen zeigen; aber das Ergebniß seiner
Beobachtungen wird ihn der objektiven Wahrheit immer
näher bringen, und seine Stimme, auch wenn sie streng
und rügend wäre, verdient die dankbare Aufmerksamkeit
des Künstlers.

Eines ist aber noch zu bemerken in dieser Hinsicht.
Bei) dem Wunsch und Bestreben, ein Kunstwerk in seiner
Totalität zu verstehen, seinen Geist aufzufassen, sein Ver-
hältnis? zum dargestellten Gegenstand inne zu werden,
wird so gar leicht der objektive Standpunkt mit dein sub-
jektiven vertauscht. Wir tragen z. B. von einem ge-
schichtlichen Charakter oder Creigniß irgend eine Ansicht
in unserer Seele; daraus entfaltet sich irgend ein be-
stimmtes Bild der Person oder Begebenheit in unserer
Phantasie, ein Bild, welches, von unserem Standpunkt,
unseren Begriffen und Vorstellungen aus, den Gegenstand
treu auffassen und mit seinem wahren Leben, in richtigen
Verhältnissen ihn uns vergegenwärtigen mag. Der Künst-
ler, welchem die Vorsehung das Talent verliehen, das in
seiner Seele erwachte Bild außer sich in Formen, Um-
rissen, Farben zu reproduciren, bringt vielleicht eine von
unserem inneren Bilde sehr verschiedene Darstellung des
gedachten Gegenstandes hervor. Wollten wir nun des-
halb ihn tadeln, weil er andere Züge, als die wir an un-
serem inneren Bilde erblicken, andere Merkmale, andere
Naturen, als wir sie erwartet hatten, darstellt; so wäre
dies ein unerlaubtes und ungerechtes Gericht. Wir dür-
fen nicht verlangen, daß über einen Gegenstand bep allen
nur Eine Mexnung gelte; ebensowenig also auch, daß aus

verschiedenen Ansichten und Ucberzeugungen dasselbe künst-
lerische Werk resultiren müsse. Jedes Ding hat seine
unendlich vielen Seiten, und darin eben ist die Geister-
welt eine Offenbarung, ein Rester des Unendlichen, daß
jeder Geist eine eigenthümliche Welt und Anschauung,
eln eigcnthümliches Leben in seiner Brust besitzen, bewe-
gen, anschauen und mit den Ueberzeugungen und Ansich-
ten Andrer einen lebendigen und eben dadurch beseligen-
den Austausch treiben soll. Wir müssen also jedem An-
deren seine Ansicht gelte» lassen, und uns dessen freuen,
ivenn in Wort oder Bild uns eine Wahrheit von einem
bisher noch nicht von uns erkannten interessanten Stand-
punkte aus angeboten wird. Wir sind nur dann be-
rechtigt, den Künstler der Unwahrheit und des Fehlers
zu beschuldigen, wenn sich uns bcy unparthepischer Prü-
fung ergibt, daß seine Auffassung und Darstellung mit
der Idee, mit dem Gegenstände selbst tn keinem klaren,
genügenden Zusammenhänge steht, oder daß er in der
Behandlung seiner eigenen richtig gefaßten Idee und An-
lage des Bildes untreu geworden ist. So wäre, um ein
Beyspiel anzuführen, ein wohlbeleibter Apollo oder Chri-
stus der Grundvorstellung, die wir von bepden haben müs-
sen, zuwider. Durch die Darstellung eines mit abgema-
gertem, jaminervoll abgezehrten Körper am Kreuze hän-
genden Erlösers aber würde der Künstler der richtigen
Vorstellung, denselben leidend darstellen zu müssen, durch
eine die höhere Würde verletzende und das Gefühl der
Andacht störende, vorzüglich aber auch der Wahrheit selbst
zuwider laufende Häßlichkeit untreu werden.

Wer aber mag es tadelnd rügen wollen, daß der
eine Meister dem Johannes, welchen so Viele zart und
schlank, oft init Unrecht unter weibischzarten und weichen
Formen sich vorzustellen gewohnt sind, einen kräftigen
Leib und energische Jünglingsfülle verleiht, daß ein ande-
rer es vorzieht, den Evangelisten tm Greisenalter zu bil-
den und durch die Hoheit und Milde seines grauen Haup-
tes, ihn über die übrigen Apostel und Christen hervor-
ragen zu lassen, während man ihn am liebsten sonst jung
und zart, gleichsam in ewiger Kindheit auch der körper-
lichen Natur anschaut und denkt? Bepde von der gewöhn
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