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2Y1.

Kunst-Slatt.

Donnerstag, 2. Januar 1634.

Acker Meinung, Artheil, Ansicht, Kritik
in Lunstsachen.

Von F. L. Bührlen.

Mit der Breite der Literatur, des lauten Denkens
der Nationen, der Oeffeutlichkeit der Besprechung wächst
auch der Umfang der Kritik, die Masse der Urtheile, der
über alle ersinnliche nur irgend ein Interesse gewahrende
Dinge ausgesprochenen Ansichten, des Widerhalles der
Eindrücke.

So kann cs dann nicht fehlen, daß das Urtheil häu-
fig von Unberufenen ausgeht und daß durch ein solches
die persönlich Leistenden oder sächlich Betheiligten oft ge-
reizt, beleidigt werden.

Das Urtheil ist ein beinahe instinktmäßiger Akt der
Seele. Der Mensch urtheilt über Gott uud die Welt,
über Natur und Menschenwerke unwillkührlich, und sagt
sich erst durch eine ihm später kommende Reflerion auf
sich selbst, daß er doch vielleicht nicht unterrichtet genug
sev, um mit Fug über das -,An sich" einer Sache zu
urtheilen, daß er nach einem flüchtigen Eindruck nur
sein einseitiges, subjektives Gefühl ausspreche.

Vernunft und Sittlichkeit gebieten, daß wir uns je
eher je lieber mit uns selbst oder gesellig über die Be-
sugniß zum Urtheilen verständigen. Namentlich sollte
dieß in der Sphäre der Kunst geschehen; in dem Kreis
erwählter Gegenstände, in dem Reich des Schönen sollte
wohl auch das Urtheil gewählt und. schön, treffend, dem
Objekt angemessen seyn.

Diese Verständigung ist nicht so schwierig, wenn
man sich einigermaßen den Umfang der Kunst, der Kunst-
werke, der zu ihrer Hervvrbringung erforderlichen Ein-
sichten und Fertigkeiten, dann der Kunstliteratur, als des
öffentlichen Lebens und Forums, vor welchem die Kunst-
urtheile gefällt werden, bewußt wird.

Wie über Rechtsfälle der Rechtskundige, über Krankhei-
ten und deren Heilbarkeit der Heilkundige, über Sprach-
sachea der Sprachkundige, über Naturerscheinungen der

Naturforscher, über den Krieg der Kriegskundige, über
Geschichte der Gcschichtskenner, über Kunst- und Gewerks-
Vvrtheile der Techniker ic. unterrichtet ist und ein tref-
fenderes Urtheil fällen kann, als der unkundige Laie, —
so auch über Kunst uud Kunstwerke der Kunstkenner.

Geben wir etwa nicht schon hier den ersten Anstoß,
daß wir nicht sagen: — der Künstler? —

Wir hätten sehr Unrecht gehabt, so zu sagen; denn
so gewiß es ist, daß viele Künstler auch in gleichem
Grade Kunstkenner sind, so treffen wir doch auch nicht
wenige Künstler an, die ohne weitere Kunde nur gerade
eine gewisse Art von Werken zu verfertigen wissen, wo-
gcgen Andere ihrer Genossen noch umfassendere Kunst-
Einsichten als Kunstfertigkeit besitzen.

So urtheilt üh-r Musikwerke der Musikkundigc mit
mehr Fug, als der bloße Musikus, der vielleicht sein
Instrument und darauf namentlich gewisse eingcübte
schwere Stücke mit Virtuosität spielt, aber darum nicht
nothwendig Einsicht in die Construktion derselben und
ihr Verhältniß zur Tonkunst, zum musikalischen Geist und
Geschmack im Ganzen hat.

Wir unterscheiden die Einsicht in das Machen, in
das technische Wirken, und die Einsicht in das Gemachte,
in das Werk, und stellen uns selbst die Frage, in nne
weit cs eine Kunde von der Struktur, dem Wesen
des Werks, Kunstwerks geben könne ohne genaue Einsicht
in die Handgriffe und technischen Fertigkeiten, ja noch mehr,
ohne deren praktischen Besitz.

Wir denken ferner an die Kenntniß der Instrumente
und der Stoffe, deren sich der Künstler bedient, und
sagen uns, daß, um ein Beispiel aus der Sphäre des
Handwerks zu nehmen, über das Leder in der Regel der
Gerber besser urtheilt als der Schuster, und so über
Hanf, Leisten, Pfriemen rc. deren Verfertiger. — Dieß
mag darauf hindeuten, daß auch der Künstler i» seinem
Urtheil über Kunstwerke Autoritäten der Hülfstechniker
neben sich anerkennen muß, und also nicht einmal in der
Kunde des Schaffens ganz allein und frei dastebt. Daher
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