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399

liehen Entwickelung in dieser oder jener Beziehung; daher
verlangt es von dem Genießenden eine verwandte Em-
pfänglichkeit, eine Art von stiller Uebereinkunft, die desto
nothwendiger wird und sich um so stärker äußert, je mehr
die Bedeutung des Gegenstandes und dessen Behandlungs-
wcise den liefern Gehalt unseres Wesens aufschließt.
Muthet uns der Künstler eine Hinneigung zu, welche
über die rechtmäßige Ordnung des gegenseitigen Wechsel-
Verkehrs hinausgeht, so bestraft ihn dafür die kalte Auf-
nahme seines verfehlten Merkes; darum ist jedoch das
Wesen jenes ursprünglichen Vertrags, von den Beschaffen-
heiten des Raums und der Zeit vielfach gefärbt, keincs-
iveges aufgehoben, weil die Kunst sonst aufhören müßte,
ein Gemeingut der Menschheit zu sepn. Gerade das
Größte in ihr ist unter dem Beistände jener durchgän-
gigen Vermittelung hervorgebracht worden; gewährt es
nebenher auch eine Augenlust, die sich wohlfeiler abzufin-
hen weiß, so steht eine so oberflächliche Theilnahme doch
weit hinter dem Interesse zurück, welches den Werth deS
Geleisteten ganz nachzuempfinden sucht. Wenn die wohl-
bekannte Forderung, daß jeder Gegenstand der Kunst sich
selbst vollständig aussprechcn müsse, in einem Sinne ge-
nommen wird, wornach jede Hinweisung auf die Mit-
hülfe cincö voranfgehendcn Einverständnisses als eine Ueber-
schreituug handgreiflicher Klarheit rund abzuweisen ist,
bann dürfte eine Anzahl vorzüglicher Werke auf der
Grundlage einer so knappen Begrenzung nicht minder
schwer zu rechtfertigen sepn, als die ganze Lehre vom
Kunstwahren. Die Stufen der nokhwendigen Mitwir-
■ kung sind so verschieden, sie bedingen den Sinn der aus-
gestellten Forderung so mannichfaltig, daß die Unerläß-
lichkeit der Nebenbestimmungen die Allgemeinheit der
Regel ziemlich verdächtig macht, obwohl sie unter billigen
Einschränkungen jederzeit ihr Recht behaupten wird.

AuS der Art und Weife, wie die Betrachtung ihre
verwandte Mitwirkung bereit halt, die in einem vollkom-
menen Wiederklange des Angeschauten bis zu der Höhe
einer geistigen Nachschöpfung steigen kann, läßt sich dann
auch allein die Befugniß erklären, von dem Uebernatür-
lichen der Kunstwahrheit mit dem Gefühle statthafter
_ Ueberzeugung reden zu dürfen. In Absicht auf den Be-
trachtenden hat der Künstler meistens die lebendige Er-
kenntniß der Natur voraus; das Vermögen, dieselbe
geistig zu verkörpern, macht ihn zu dem, was er ist, wo-
durch er sich von seinen Genossen eigenthümlich, von den
Nichtkünstlern durchaus wesentlich unterscheidet. Dessen-
ungeachtet verdankt er, genau erwogen, nicht dem beson-
dern Grade seiner Meisterschaft die Fähigkeit, den Reiz
des Uebernatürlichen darzustellen, sondern einer Kraft
des Bewußtseyns, die in allen wohlentwickelten Seelen
lebt und die sich in der seinigen mit der Gabe der Pro-
duktion dergestalt verbindet, daß sie den Ausschlag des

Gelingens sichert. Es fragt sich jetzt, worin das ursprüng-
liche Band der Vereinigung besteht, welches den Künst-
ler bei dem Entwürfe, der Ausführung seines Werks in
den Himmel der Wahrheit erhebt und die Betrachtung
ermächtigt, ihm bis dahin, zu folgen.

Was ist zuletzt alles Uebernatürliche anders als ein
Unfaßliches, dessen Daseyn in dem unvertilgbaren Gegen-
sätze des Endlichen und Unendlichen liegt? Im meta-
physischen Sinne dürfte dieser ungefähren Erklärung
nichts Sonderliches entgegenstehen, desto anstößiger mag
cs auf den ersten Blick scheinen, die bildliche Bezeich-
nung des Uebernatürlichen in eine ähnliche Gedanken-
verbindung hinüberziehen zu wollen. Wenn aber die
bildliche Redeweise, insofern sie sich auf dem Zwischenge-
biete des Endlichen und Unendlichen bewegt, die gehöri-
gen Schranken beobachtet, ohne über die Verhältnisse des
Kunstwahren nachweislich hinauszugehen, so kann ein
solcher Versuch an und für sich keine Bedenklichkeiten er-
wecken. Ein allegorischer Schein haftet nun einmal der
Kunstwahrheit unzertrennlich an, sobald sie auf die sicht-
bare Welt bezogen wird; sie stellt gleichsam eine zweite
Natur in der ersten dar, worauf, näher besehen, auch
Goethe's Worte hinführen, wofern man nicht annehmen
will, er habe bloß mit einer Blume des Ausdrucks müßig
getändelt und dabei nichts Festes im Sinne gehabt.
Seine figürliche Vorstcllungsweise ist darum beibehaltcn
worden, weil sie einen allgemeinen Haltpunkt darbietet
und nicht leicht gemißdeutet werden kann, hat mau sich
überhaupt mit ihr näher befreundet.

Um sie auf die obige Frage anzuwenden, reicht es
hin, auf den Zustand des Gemüths zu achten, in dem das
Gefühl des Kunstwahren sich entwickelt. Wie das Erha-
bene nicht in der Unermeßlichkeit des Raumes wohnt,
wenn er es gleich mit den Erscheinungen seiner Herr-
lichkeit von außen in Bewegung setzt, sondern in der
Macbt der Vorstellung, die dem Ueberdrauge der sinn-
lichen Wahrnehmung den Maßstab einer höher» umfas-
senden Einheit entgegenhält, an ihm sich innerlich anf-
richtet und mit vorüberfliehenden Blicken die grenzen-
losen Tiefen der Gedankenwelt ermißt; so leistet die Phan-
tasie, erschüttert von dem Zauber der Kunst, während
die Erfahrung weder ihn noch sich selbst zu fassen weiß,
dieser einen ähnlichen Dienst, indem sie mit ihrem Schlüs-
sel das Reich deS Unendlichen eröffnet, um von dort die
Vorwürfe zu entnehmen, in denen sie die Umrisse des
Endlichen ausgeprägt sieht. Es würde leicht sepn, den
beschriebenen Prozeß lächerlich zu machen, spräche nicht für
ihn eine innere Beglaubigung, die eine bloße Berechnung
äußerer Thatsachcn weder geben noch nehmen kann. Jene
Vorwürfe, oder wie man sie sonst nennen will, denn der
Name ließe sich auf Verlangen leicht ändern, sind begreif-
licherweise keine bestimmten Abblätterungen des Uuend.
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