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lieber den scheinbaren Widerstreit zwischen
Kunst- und Naturwahrheit.

(Beschluß.)

Ihr Verfahren hat insofern den Bestand der Wahr-
heit, weil ihr der Anstoß dazu von der. Macht eines em-
pfundene» Wirklichen kommt, dessen Werrh sie in ihre
überirdischen Zeichen umschreibt. Da sie dicü mit dem
Vewußtsepn innerer Nvthwendigkeit thut, so erhält jener
Werth von ihr den Stempel der Bestimmtheit, .er ist
nur eine abgeschlossene Größe, die sich dadurch genau ab-
mißt, daß es ihr überhaupt möglich war, die Zuerken-
nung eines so seltenen Preises zn erringen. Was das
unterlaufende Spiel der Täuschung betrifft, so verdiente
cs wohl einen unverdächligeren Namen, wüßten wir nicht,
wie gut er ihr ansteht, wie glücklich wir uns dabei befin-
den. Jedermann stst mit einer Täuschung zufrieden,
deren Netz ihn so leise umfaßt, daß er es im augenblick-
lichen Genuß übersieht, deren Einwirkung so natürlich
erfolgt, daß ihr Reiz sogar die Kalte der Untersuchung
überdauert, durch die Einsicht in den Grund ihres Ent-
stehens noch gewinnt, anstatt zu verlieren. Sie wandelt
scheinbar am Himmel daher wie die. Sonne, erwärmt
geistig mit ähnlicher Kraft, gehört in den Kreis der
Kunst so nothwendig, als jene zum Systeme der Welt;
so ist es ja wohl billig anzunehmcn, daß sie ebenfalls zu
dem Bunde der erfahrungomaßigen Wahrheiten gehört,
die zu ihrer Einfassung die Annehmlichkeiten eines ge-:
wissen Scheins unumgänglich bedürfen.

Wie dem nun auch feyn mag, soviel erhellt unumstöß-
lich, daß jeder Versuch, das Dasepn, die Gültigkeit des
Kunstwahren lediglich aus den Beschaffenheiten des an-
geschaüten Gegenstandes erklären zu wollen, ohne dabei
auf irgend eine Weise der Phantasie in. ihren eingeleg-
ten Bezügen auf das Unendliche nachzublicken , an der
Unmöglichkeit der Aufgabe scheitern muß. . Jede Ent-
scheidung über Heu Gehalt des Kunstwahren, die ihn
einzig und allein auö dom Inbegriffe und Zusammenhänge
der äußern Dinge an dem Leitfaden eines summarischen
Ueberschlags entwickeln will, setzt eine vollkommene Er-
kenntniß der augenfälligen Erscheinungen voraus; ist
diese nun mangelhast, wie sie es in den Grenzen der
Menschheit immer bleiben wird, so stellt sich die An-
maßung ein, etwas über das Wirkliche zu erheben, das
vielleicht nicht einmal an dasselbe hinanreicht; die Beschränkt-
heit wagt einen heroischen Ausfall und ertheilt sich eigen-
mächtig auf dem Felde der Unehre den Ritterschlag der
Wissenschaft. Mithin ist jenes objektive Zusammenklau-
bcn, das trockne Erbsen zählt, um grüne Schoten daraus
zu machen, eigentlich eine stille Schwärmerei, so gutes
Ansehen sie auch bei den Liebhabern eines hausbackenen

Verstandes genießt. Gesetzt, sie wollten die Appellation
.an den Gefmnmtunifang der äußern Dinge umschleichen
Mit der' bescheidener» Versicherung, daß nach ihrer Mei-
nung das Kunstwahre in dem Durchschnitte des natür-
lichen. Mittelgutes bestehe, allenfalls auch, wo dieses nicht
zu haben'ftp, in der treijffesßigen Darstellung einzelner
?>atür!ichkeite'n; können sie nur diesen Krümmungen,
diesen Windungen.der. sclbstgclegten Schlinge entgehen-
Unmöglich^ denn das Eine wie das Andere setzt ein
Ansscheideli und Zusammenfassen des Hauptsächlichen
nach den' Grundsätzen der natürlichen Einheit voraus,
und so schwimmen wieder mitten im breiten Flusse der
Sachlichkeiten die ideellen Li.chtstreifen vor ihren Augen.
Den härtesten Stand haben sie endlich mit den idealischen
Geistesgcdnrten; ehrenhalber, schon aus Ehrfurcht vor
dem Alterthume, können sie dieselben nicht geradezu vor
den Kopf stoßen, ebensowenig mit ihnen auf einem freund-
schaftlichen Fuß leben. Aus Schonung wurden diese ver-
rufenen Gespenster bisher nicht vorgcladen; es war einige
Hoffnung vorhanden, sie unter dem weiten Deckmantel
des Uebernatürlichen nebenher unerkannt durchzubringen;
jetzt mögen sie getrost aus den Falten hervorschaucn, um
ihre falschen Freunde und heimlichen Feinde ein wenig
zu necken.' Was sollen die natürlichen Kinder der Theorie
mit den Idealen beginnen? Einestheils fehlt cs ihnen
ait Muth, letztere schlechthin zu verwerfen, anderntheils
an Platz, sie unter dem Sbdach ihres Systems in irgend
einem durchregneten Winkel aufzustellen. D-s Ideal er-
fordere ei» Marimum zum Zielpunkt, wäre es auch nur
auf dem Wege der Annäherung. Hier ist die unheim-
liche Stelle, an welcher das bloße Umhertappen der aus-
schließenden Handlangerei der Erfahrung nothwendig zu
Schanden wird.

Die vorangestelltc Ansicht kann deßfalls nicht in's
Stocken gcrathen, weil cs ihr überall gar nicht beikommt,
ihre Urthcile von der .Wagschale deS Wirklichen Hand-
greiflichermafien abzunehmen; selbst da, wo sie von dem
Wesens eines sichtbaren Einzelnen im Tone der Zuver-
verlässigkeit redet, meint sie nicht dessen sinnlich beschränk-
ten Abdruck, sondern den Nervensast seines geistigen
Daseyns, wie er in den Gefäßen des Endlichen kreisend
umherfließt. Schaute sie in solchen bestimmten Fällen
nicht <uif etwas Unendliches zurück, das aus der Fülle
des anfgefchlosscnen Gegenstandes hervvrqüillt, wie der
Duft einer Blüthe im Augenblicke ihres schönsten Sevns,
so' hätte sie ihre Ansprüche auf das Kunstwahre in ihrem
Sinne .völlig verscherzt; und wollte sie davon nicht ab-
stehen, so müßte sie wissentlich ihre Kraft an das ver-
kehrte Geschäft setzen, Lügen zn erfinden, an welche sie
gern glauben möchte, wenn sic könnte.

....er.
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