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2* 1.

Kunst-Älatt.

Donnerstag, I. Januar 1635.

Mmrrfs einer Tstorie der bildenden Künste.

Wo» Herausgeber.

Der menschliche Seist fühlt das Bedürfnis, Gedan-
ken und Empfin ducken nicht bloß durch Worte und
Töne, sondern auch durch Gestalten zu versinnlichen
und mitzutheilen. ^ie Fähigkeit dazu erwacht mit der
allmähligen Entwicklung der Menschheit, wie Poesie
und Gesang, und zcht sich in der Ausübung als bil-
dende Kunst. Die bidende Kunst ist Poesie durch Ge-
stalten. Sie verfährt nach den allgemeinen Gesetzen der
Poesie, obgleich mit weniger vortheilhaften, schwerer
zn handhabenden undbeschränktcren Mitteln. Die Ge-
stalten, deren sie si) zur Darstellung bedient, sind
mühevoll von ihr seist hcrvorgebrachte, theils frei er-
zeugte, theiis nachgebmte Gestalten. Bei der freien
Hervorbringung sind Phantasie und Einbildungskraft,
bei der Nachbildung if der dem Menschen eingeborene
Nachahmungstrieb thäig, und diese Vermögen sind die
Bedingungen alles kiWlerischen Wirkens. Dennoch
beherrschen nicht sie die bildende Kunst, sondern allein
der Gedanke, in welchen sich vereinigt hat, was den
Geist beschäftigt und dcsGemüth bewegt. Die Kunst
geht immer und überall wn dem Gedanken aus und
lebt durch denselben.

Daher wächst sie, Met, altert und stirbt mit der
geistigen Kraft der Völker In der Jugend dcS mensch-
lichen, Geschlechts sticht sie inrch einfache und unvollkom-
mene Zeichen die rrhabein»-Begriffe auszudrücken, durch
tvelche sein Dasevn sich »nein höheres knüpft; sie ent-
steht unmittelbar aus Ltt Religion, ist Dienerin der-
selben und behandelt klebrige, was sich ihr dar-
bietct, mit der Feierlichst-religiöser Gesinnung. All-
mählig aber begnügt ßh der künstlerische Sinn nicht
mehr, das Geistige duih sinnliche Zeichen bloß anzu-
deuten; er erweitert sine Fertigkeit in Handhabung
der Darstellungsmittel

eigentlich zu verkörpern, in voller sinnlicher Wahrheit
vor das leibliche Auge zu bringen. Und hier, wo er
noch von der frömmsten Gesinnung durchdrungen ist,
wo alle Geistes- und Gemüthskräfte in frischer Stärke
und unbefleckter Reinheit Zusammenwirken, begegnet
ihm die Schönheit. Er fühlt, daß er die höchsten Ge-
danken nur in den Formen des Schönen aussprechen
kann, und ist im Stande, dieselben äußerlich zn erken-
nen, anfzufassen und in freier Nachbildung zu erschaffen.

Sv wird die bildende Kunst erst in ihrer Blüthe
völlig zur schönen Kunst und als solche fähig, das mensch-
lich Vollkommene, ja in ihm die Andeutung des kleber-
irdischen und Göttlichen vor Augen zu stellen. In
diesen höchsten Leistungen ist die Kunst symbolisch; der
sinnliche Gegenstand, welchen sie vor Augen bringt, ist
irdisches Abbild eines Uebcrirdischen, er versinnlicht das
Wahre und Gute im Gewände des Schönen. Die Zeit,
wo die Kunst zu dieser Blüthe gelangt, wird gewöhn-
lich durch Dichtkunst und Wissenschaft vorbereitet und
macht den Schluß nationaler Entwickelung.

Aber wie sich der Sinn des Mannes im Wcltlebcn
erweitert, wie er daS ideale Streben des Jünglings
mit der Verfolgung mannichfaltiger positiver Zwecke
vertauscht, so tritt auch die Kunst, nachdem sie durch
ihre Blüthe selbständig geworden, in eine erweiterte
Sphäre ein. Die heiligen Begriffe der Religion, der
Ruhm des Vaterlandes sind nicht allein mehr ihr Vor-
wurf; das gesammte Leben dcö Volkes nimmt sie in
Anspruch, sie wird freie Kunst. Der Darstellungsmittel,
deren sie mächtig ist, bedient sic sich nun nach Be-
lieben zur Bersinnlichung eines jeden Gedankens, der
im Bereiche menschlicher Empfindung und Erkenntnis!
sich ihr bietet. Glücklich, wenn sie mit richtigem Sinn
unterscheidet, was heilig, was profan sev, und in den
mannichfaltigen Gebieten, worin sie sich bewegt, Aechtcs
und Würdiges vom Leichten und Nichtigen sondert.
So aufrecht erhalten durch geistige Kraft, überflügelt
sie das äußere Schicksal der Völker und trägt den Samen

»nd bringt es dahin, Gedanken
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