2V 41.
Kunst-Glatt.
Donnerstag, 21. M a i 183 5.
Kunstausstellung in Lerlin 1834.
(Fortsetzung.)
Aus dem Menschen schaut die ganze Natur, die
mütterliche Natur ihre eigenen Züge in den Zügen ihrer
schlummernden Kinder an, die nichts davon wissen, daß
sie diese Züge spiegeln, und eben darum so treu und
unschuldig sie wieder geben. Hierdurch kommt ferner ein
Uebergang in die Anschauung der Landschaft. Denn da-
durch, daß die Natur auch als besondere einen Stand-
punkt gefunden — im Menschen ihren Standpunkt ge-
sunden hat, sammelt sie sich zu ihrer Allgemeinheit, ent-
wickelt sich zu ihrer Seele nach dem Charakter seiner
Individualität; und der Mensch dadurch, daß er als
allgemeine Natur, als Geist sein bewußtloses Selbst in
der besonder» Landschaft gefunden hat, entwickelt in ihr
sein allgemeines Wesen nach dem Charakter der besonder»
Landschaft. Nach dieser gegenseitigen Maßgabe enthält
die landschaftliche Natur ein in's Unendliche variables
System von Charakteren und Stimmungen des mensch-
lichen Bewußtseyns, und dieses enthält eine unendliche
Fähigkeit individueller Naturbcseclung. Es zeigt sich
hierbei (wenn man scharf denkt), daß der Mensch die
Landschaft nicht nur in si ch schaut alö seine individuelle
Natur, sondern auch sich gegenüber als allgemeine, aber
auch umgekehrt. Denn von seinem allgemeinen Wesen
ans, erscheint sie als sei» besonderes; von seinem beson-
der» aus, erscheint sie als das Allgemeine seines Wesens.
Die Landschaft ist in ihm entwickelt als besonderer Zu-
stand seines Wesens, er i» sie versenkt als das allge-
meine Wesen ihres Bildes. Deßwegen kommt ihm sein
eigenes allgemeines Wesen aus ihrem Bilde, entgegen.
Zugleich aber ist im Anschauen seine individuelle Seele
entwickelt in die Landschaft als besondere Form ihres
Bildes, und sie in ihn versenkt als der allgemeine Wider-
schein dieser Individualität. Deßwegen geht ihr Bild
aus seiner Individualität hervor. — Und so erhellt end-
lich, daß nicht bloß die allgemeine Natur des Menschen,
die man etwa als die gattungsmäßige, als Stamm- und
Nolksgeist fassen könnte, sondern eben so nothwendig die
besondere, individuelle in vollkommener Gegenseitigkeit
steht mit der schönen Landschaft. Der ganze Werth des
Ürtheils geht verloren, wenn man nicht festhält, daß in
dieser Anschauung Natur und Individualität in einander
einbegriffen und einander entgegengesezt zugleich sind.
Auf diesem Gegensatz beruht die ganze Sentimentalität
der modernen Landschaft, auf der Identität das Naive.
In der schönen landschaftlichen Natur sieht der Mensch
sich und die Natur doppelt im gcistigschnellsten, heimlich-
sten Wechseltausch und verändert sich mit ihr auf wunder-
bare Weise. Auf der einen Seite erscheint ihm die Na-
tur als das Wahre, das Allgemeine und Gute, und da
erscheint er sich gegenüber von ihr als der Vereinzelte,
Entfremdete, Abgefallene; auf der andern Seite erscheint
die Natur als das Aeußcrliche, Sichselbstfremde, Be-
wußtlose, und da ist der Mensch ihr gegenüber das Allge-
meine, das gute Bewußtscyn. Als der Abgefallene kehrt
er im Anschauen zurück in ihren Scboß, als der Bewußte
nimmt er sie zurück in seinen Geist. Er ist für die
Natur der Unbekannte, in dem doch ihre Seele wohnt;
sie für ihn die scltsamcntfremdete Hälfte seines Wesens,
an der er sich doch erst recht kennen lernt. Was er in
sich ist, steht da wie vergessen und sprachlos vor ihm,
und gerade so erinnert es ihn an sich und spricht zu ihm.
Was da vor ihm steht und sei» ganzes Wesen ausspricht,
das ist doch nicht er und weiß nichts von ihm. Und
dennoch, je mehr er sich hineinschaut, wie altbekannt
und ticfvertraut, wie nothwendig und ursprünglicheigen
wird ihm Alles, wie träumt er sich hinein in die innige
Selbstvergessenhcit. Und dieser Traum des Vergeffens
ist erwachender Augenaufschlag der Landschaft, ist stilles
Scelengespräck, der Natur, die im Menschen denkt und
in offener und spielender Entfaltung ihm ihr Mährchen
erzählt. Und er Hort im träumenden Schauen die stille
Kunst-Glatt.
Donnerstag, 21. M a i 183 5.
Kunstausstellung in Lerlin 1834.
(Fortsetzung.)
Aus dem Menschen schaut die ganze Natur, die
mütterliche Natur ihre eigenen Züge in den Zügen ihrer
schlummernden Kinder an, die nichts davon wissen, daß
sie diese Züge spiegeln, und eben darum so treu und
unschuldig sie wieder geben. Hierdurch kommt ferner ein
Uebergang in die Anschauung der Landschaft. Denn da-
durch, daß die Natur auch als besondere einen Stand-
punkt gefunden — im Menschen ihren Standpunkt ge-
sunden hat, sammelt sie sich zu ihrer Allgemeinheit, ent-
wickelt sich zu ihrer Seele nach dem Charakter seiner
Individualität; und der Mensch dadurch, daß er als
allgemeine Natur, als Geist sein bewußtloses Selbst in
der besonder» Landschaft gefunden hat, entwickelt in ihr
sein allgemeines Wesen nach dem Charakter der besonder»
Landschaft. Nach dieser gegenseitigen Maßgabe enthält
die landschaftliche Natur ein in's Unendliche variables
System von Charakteren und Stimmungen des mensch-
lichen Bewußtseyns, und dieses enthält eine unendliche
Fähigkeit individueller Naturbcseclung. Es zeigt sich
hierbei (wenn man scharf denkt), daß der Mensch die
Landschaft nicht nur in si ch schaut alö seine individuelle
Natur, sondern auch sich gegenüber als allgemeine, aber
auch umgekehrt. Denn von seinem allgemeinen Wesen
ans, erscheint sie als sei» besonderes; von seinem beson-
der» aus, erscheint sie als das Allgemeine seines Wesens.
Die Landschaft ist in ihm entwickelt als besonderer Zu-
stand seines Wesens, er i» sie versenkt als das allge-
meine Wesen ihres Bildes. Deßwegen kommt ihm sein
eigenes allgemeines Wesen aus ihrem Bilde, entgegen.
Zugleich aber ist im Anschauen seine individuelle Seele
entwickelt in die Landschaft als besondere Form ihres
Bildes, und sie in ihn versenkt als der allgemeine Wider-
schein dieser Individualität. Deßwegen geht ihr Bild
aus seiner Individualität hervor. — Und so erhellt end-
lich, daß nicht bloß die allgemeine Natur des Menschen,
die man etwa als die gattungsmäßige, als Stamm- und
Nolksgeist fassen könnte, sondern eben so nothwendig die
besondere, individuelle in vollkommener Gegenseitigkeit
steht mit der schönen Landschaft. Der ganze Werth des
Ürtheils geht verloren, wenn man nicht festhält, daß in
dieser Anschauung Natur und Individualität in einander
einbegriffen und einander entgegengesezt zugleich sind.
Auf diesem Gegensatz beruht die ganze Sentimentalität
der modernen Landschaft, auf der Identität das Naive.
In der schönen landschaftlichen Natur sieht der Mensch
sich und die Natur doppelt im gcistigschnellsten, heimlich-
sten Wechseltausch und verändert sich mit ihr auf wunder-
bare Weise. Auf der einen Seite erscheint ihm die Na-
tur als das Wahre, das Allgemeine und Gute, und da
erscheint er sich gegenüber von ihr als der Vereinzelte,
Entfremdete, Abgefallene; auf der andern Seite erscheint
die Natur als das Aeußcrliche, Sichselbstfremde, Be-
wußtlose, und da ist der Mensch ihr gegenüber das Allge-
meine, das gute Bewußtscyn. Als der Abgefallene kehrt
er im Anschauen zurück in ihren Scboß, als der Bewußte
nimmt er sie zurück in seinen Geist. Er ist für die
Natur der Unbekannte, in dem doch ihre Seele wohnt;
sie für ihn die scltsamcntfremdete Hälfte seines Wesens,
an der er sich doch erst recht kennen lernt. Was er in
sich ist, steht da wie vergessen und sprachlos vor ihm,
und gerade so erinnert es ihn an sich und spricht zu ihm.
Was da vor ihm steht und sei» ganzes Wesen ausspricht,
das ist doch nicht er und weiß nichts von ihm. Und
dennoch, je mehr er sich hineinschaut, wie altbekannt
und ticfvertraut, wie nothwendig und ursprünglicheigen
wird ihm Alles, wie träumt er sich hinein in die innige
Selbstvergessenhcit. Und dieser Traum des Vergeffens
ist erwachender Augenaufschlag der Landschaft, ist stilles
Scelengespräck, der Natur, die im Menschen denkt und
in offener und spielender Entfaltung ihm ihr Mährchen
erzählt. Und er Hort im träumenden Schauen die stille