V 51,
Aunst-Älatt.
Donnerstag, 25. Juni 1835.
Kunstgeschichte.
1) Die Geschichte der bildenden Künste bei den
Alten. Von A. Hirt. Berlin, Dunkcr und
Humblot, 1855. XXX und 554 S. 8.
Der verdiente Veteran in der Alterthumsforschung
liefert in diesem Buche die gelammten Resultate seiner
vieljährigen und zum Theil schon in einzelnen Aufsätzen
bekannt gemachten Forschungen über Sculptur und Ma-
lerei des Altcrthnms. Er nennt sie bildende Künste
mit Ausschluß der Architektur, wahrend §. O. Müller die
Sculptur allein bildende Kunst benennt. Wir
sehen aber nicht ein, warum nicht auch die Architektur
so gut wie die Malerei eine bildende Kunst ist, da sie
auf dieselbe Weise Gestalten bildet, nur von anderer
Art, wie die Sculptur und die zeichnenden Künste. Man
sollte sich in solchen Dingen endlich einmal vereinigen,
um die Kunstsprache zu läutern und fortdauernde Miß-
verständnisse zu heben. Darum schlagen wir vor, den
Ausdruck bildende Kunst fortan für den Gesammtbegriff
der drei Künste, Baukunst, Vilduerei und Malerei; da-
gegen für die Sculptur nur das Wort Bildnerei zu
gebrauchen.
Der Verfasser gibt in diesem Werke ein Supplement
zu seiner Geschichte der Architektur, behandelt jedoch sei-
nen Stoff hier kürzer und übersichtlicher. Den Gang,
den er in jenem verdienstvollen Werke genommen, beob-
achtet er auch hier; er laßt die Völker, welche diese
Ksiuste geübt, in chronologischer Ordnung auf einander
folgen, und weist die Vcrmuthung ihrer Einwirkungen
aus einander nicht ab.
Auch in der Methode der Untersuchung und Dar-
stellung bleibt Hr. Hirt seiner früher« Weise' getreu.
Die höhern Motive der Kunstentwickelung. die bei jedem
Volk in Religion, sittlichem Zustand, Naturverhältniß,
politischer und literarischer Geschichte, liegen, deutet er
" ...■■I.r—-M -r .7,
nur in den allgemeinsten Zügen und mit wenigen Worten
an. Dagegen ist seine Darstellung streng auf das Posi-
tive gerichtet, er erzählt die Geschichte der Künstler und
der Kunstwerke kurz, aber genau, und sagt mit wenigen
bestimmten Worten seine Meinung darüber.
2n lezterer Hinsicht ist bekanntlich unser Verfasser
sehr entschieden. Die Feststellung einer knnstgeschichtlichen
Ansicht beruht immer entweder auf schriftlichem Zeugniß,
oder auf dem Urtheil über das Kunstwerk oder auf beiden
zugleich. Das Ersiere allein ist zwar stets ein sicherer
Anhaltspunkt; aber unbefriedigend, weil kein schriftliches
Zeugniß hinrcicht, eine genügende Meinung über Styl
und Kunstwerth zu fassen; bas Zweite allein ist unzuver-
lässig, weil kein philosophischer Scharfsinn im Stande ist,
die Entwickelung der Kunst und die Aufeinanderfolge
ihrer Werke mit völliger Sicherheit aus der Eigenthüm-
lichkeit der lezteren zu bestimmen; daher kann nur das
Dritte, die Vereinigung hinreichender schriftlicher Zeug-
nisse mit einem sichern Urtheil über das vor Augen ste-
hende Werk, ein sicheres kunstgeschichtliches Resultat
hervvrbringen.
Wie selten aber die Möglichkeit solcher Vereinigung
eintritt, ist bekannt. Die alten Schriftsteller erzählen
uns von längstverschwundenen Werken, und der größte
Theil der noch vorhandenen wird von ihnen nickt er-
wähnt; mir wenige genügende Nachweisungen über noch
bestehende sind auf uns gekommen: aber viele dieser An-
gaben sind unsicher, einander widersprechend, ja zeugen
von offenbarer Unkenntniß oder oberflächlicher Abfassung
des Gegenstandes.
In dem leztern schwierigsten Falle gilt es, sich für
eins oder das andere, für das Zeugniß des Schriftstellers,
oder für das Urtheil über das Werk zu entscheiden, und
von dieser Entscheidung hängt oft eine Lebensfrage der
Kunstgeschichte, eine wichtige Bestimmung über Geist
und Styl ganzer Zeitalter ab. Thiersch, in den Abhand-
lungen über die Epochen der griechischen Kunst, spricht
mit Recht dem schriftlichen Zeugniß das entscheidende
Aunst-Älatt.
Donnerstag, 25. Juni 1835.
Kunstgeschichte.
1) Die Geschichte der bildenden Künste bei den
Alten. Von A. Hirt. Berlin, Dunkcr und
Humblot, 1855. XXX und 554 S. 8.
Der verdiente Veteran in der Alterthumsforschung
liefert in diesem Buche die gelammten Resultate seiner
vieljährigen und zum Theil schon in einzelnen Aufsätzen
bekannt gemachten Forschungen über Sculptur und Ma-
lerei des Altcrthnms. Er nennt sie bildende Künste
mit Ausschluß der Architektur, wahrend §. O. Müller die
Sculptur allein bildende Kunst benennt. Wir
sehen aber nicht ein, warum nicht auch die Architektur
so gut wie die Malerei eine bildende Kunst ist, da sie
auf dieselbe Weise Gestalten bildet, nur von anderer
Art, wie die Sculptur und die zeichnenden Künste. Man
sollte sich in solchen Dingen endlich einmal vereinigen,
um die Kunstsprache zu läutern und fortdauernde Miß-
verständnisse zu heben. Darum schlagen wir vor, den
Ausdruck bildende Kunst fortan für den Gesammtbegriff
der drei Künste, Baukunst, Vilduerei und Malerei; da-
gegen für die Sculptur nur das Wort Bildnerei zu
gebrauchen.
Der Verfasser gibt in diesem Werke ein Supplement
zu seiner Geschichte der Architektur, behandelt jedoch sei-
nen Stoff hier kürzer und übersichtlicher. Den Gang,
den er in jenem verdienstvollen Werke genommen, beob-
achtet er auch hier; er laßt die Völker, welche diese
Ksiuste geübt, in chronologischer Ordnung auf einander
folgen, und weist die Vcrmuthung ihrer Einwirkungen
aus einander nicht ab.
Auch in der Methode der Untersuchung und Dar-
stellung bleibt Hr. Hirt seiner früher« Weise' getreu.
Die höhern Motive der Kunstentwickelung. die bei jedem
Volk in Religion, sittlichem Zustand, Naturverhältniß,
politischer und literarischer Geschichte, liegen, deutet er
" ...■■I.r—-M -r .7,
nur in den allgemeinsten Zügen und mit wenigen Worten
an. Dagegen ist seine Darstellung streng auf das Posi-
tive gerichtet, er erzählt die Geschichte der Künstler und
der Kunstwerke kurz, aber genau, und sagt mit wenigen
bestimmten Worten seine Meinung darüber.
2n lezterer Hinsicht ist bekanntlich unser Verfasser
sehr entschieden. Die Feststellung einer knnstgeschichtlichen
Ansicht beruht immer entweder auf schriftlichem Zeugniß,
oder auf dem Urtheil über das Kunstwerk oder auf beiden
zugleich. Das Ersiere allein ist zwar stets ein sicherer
Anhaltspunkt; aber unbefriedigend, weil kein schriftliches
Zeugniß hinrcicht, eine genügende Meinung über Styl
und Kunstwerth zu fassen; bas Zweite allein ist unzuver-
lässig, weil kein philosophischer Scharfsinn im Stande ist,
die Entwickelung der Kunst und die Aufeinanderfolge
ihrer Werke mit völliger Sicherheit aus der Eigenthüm-
lichkeit der lezteren zu bestimmen; daher kann nur das
Dritte, die Vereinigung hinreichender schriftlicher Zeug-
nisse mit einem sichern Urtheil über das vor Augen ste-
hende Werk, ein sicheres kunstgeschichtliches Resultat
hervvrbringen.
Wie selten aber die Möglichkeit solcher Vereinigung
eintritt, ist bekannt. Die alten Schriftsteller erzählen
uns von längstverschwundenen Werken, und der größte
Theil der noch vorhandenen wird von ihnen nickt er-
wähnt; mir wenige genügende Nachweisungen über noch
bestehende sind auf uns gekommen: aber viele dieser An-
gaben sind unsicher, einander widersprechend, ja zeugen
von offenbarer Unkenntniß oder oberflächlicher Abfassung
des Gegenstandes.
In dem leztern schwierigsten Falle gilt es, sich für
eins oder das andere, für das Zeugniß des Schriftstellers,
oder für das Urtheil über das Werk zu entscheiden, und
von dieser Entscheidung hängt oft eine Lebensfrage der
Kunstgeschichte, eine wichtige Bestimmung über Geist
und Styl ganzer Zeitalter ab. Thiersch, in den Abhand-
lungen über die Epochen der griechischen Kunst, spricht
mit Recht dem schriftlichen Zeugniß das entscheidende