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Dienstag, den 12. November 1839.

Was ist Schönheit?

(Fortsetzung.)

Die plastische Schönheit, Natur- oder Kunst-
werk, offenbart sich im Ganzen der Gestalt und ihrer
Bewegung, welche in lezterer, namentlich in der Skulptur,
als Attitüde festgehalten erscheint. Aber diese Formen
— man denke an die Antiken — wirken hauptsächlich im
Ganzen und ans einer gewissen Ferne, sind auf einen
Standpunkt berechnet. Der Bildner folgt nicht dem un-
endlichen Getheil der Flächen, Erhebungen, Einsenkungen,
Wallungen rc. der lebendigen Gestalt. Cr faßt die Haupt-
formen, zieht über das leise, unendliche Spiel der Wellen-
linien seine größer», dem Auge faßlicheren Bogen, und
so entsteht der antike Typus der Götter- und Helden-
gestalten aus einer sich stets mehr und mehr läuternden
Wahl, einem sich bereinigenden Geschmacke. Der Schaf-
fende wiegt auf und ab, und ist für Unterschiede sensibel,
die der Beschauende gar nicht fühlt.

Wenn wir aber die Schönheit des menschlichen
Körpers noch näher nehmen, als die Skulptur, so finden
wir überall, an gewissen Partien aber besonders wahr-
nehmbar, ein Getheil charakteristischer Formen, welche der
Büdner weder nachahmen kann noch soll. Venus und
Apoll wären minder schön, wenn sie an irgend eine Wirk-
lichkeit, an ein auch noch so schönes Porträt erinnern
würden, obwohl umgekehrt schöne Jünglinge und Mädchen
an jene Göttergestalten erinnern dürfen und im glück-
lichsten Fall es wirklich thuu.

Die Skulptur hat ihre Typen, man mochte fast
sagen: Stereotypen; — die Natur dagegen ist uner-
schöpflich und die pafjl ihrer Schönheiten durch alle Va-
riationen der Maße und deren Kombinationen ist unendlich.

Man betrachte einmal eine schöne männliche oder
weibliche Hand, welche fast noch mehr als ein Angesicht
eine Unendlichkeit von Formen enthält, und frage sich,
ob ein Bildner diesen Reichlhum der Gestaltung wieder
geben könnte oder dürfte? Gewiß nicht!

So schön, als ein schöner Nacken oder Hals, eine
schöne Brust, kann, wenn wir genau und in größter Nähe
auf die Formen sehen, die Bildhauerei Nichts aufweisen;
gegen diese zarten, der gründlichsten Schau kaum wahr-
nehmbaren Nüancen der Oberfläche ist die schönste Antike
noch obenhin und flach gebildet. Diese ist nun einmal
nicht für den in das Wunder der lebenden Gestalt sich
versenkenden Blick der Nähe gemacht; sie ist ideal, aber
nicht natürlich, sie ist großartig schön, aber nicht zugleich
reizend.

Was sollen wir aber von dem Zauber des schönen
Antlitzes sagen?

Wer lange und viel diese Bildungen beobachtet, der
wird finden, daß bei wohlgefälligen Physiognomien die
bildende Natur es schon bei der Form des Schädels
auf eine gewisse Einfachheit, Harmonie und Faßlichkeit
der Gesichtsgcstalt angelegt habe, welcher dann die weichern
Theile sich accomvdirten und durch Aus- und Jneinander-
bilden das schöne Gesicht entstehen ließen.

Wie bei aller Schöpfung durch Fortpflanzung mochte
auch hier durch die Verbindung, Durchdringung der ältcr-
lichen Züge, nachdem in mehrern Generationen schon
Wohlgestalt vorbereitet gewesen, durch eine glückliche
Combination und Kreuzung, endlich durch zufällige Gunst
der Momente bei Empfängniß und Wachslhum des Embryo,
und sofort des Kindes die Bildung entstanden seyn, bei
welcher der Stoff durch die Form so geläutert und ver-
geistigt w.orden, daß die Seele gleichsam unaufgehalten
von lästiger Masse durch den Leib zu blicken, diesen für
ihr Licht, Feuer, Denken und Fühlen, transparent zu
machen vermögend ist.

Zu alle dem kommt noch, daß die selbstbewußte Wohl-
gestalt durch innere Freude an sich selbst, durch eine Art
Siegeslust sich im Leben noch veredelt und zur Schönheit
ausbildet. — Dies ist ein Moment, das bei der sitt-
lichen Würdigung derSchönheit wohl in Betracht
kommt. In einem häßlichen Körper kann eine schöne
Seele wohnen, in einem schönen Körper eine häßliche
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