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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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295

Vermischtes — Literatur

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Faksimiledrücken wiedergegeben sind, bieten gleichsam die
Quintessenz der Ausstellung dar. Die Auswahl der Gemälde
und Studien reicht vom Jahre 1872 bis 1909, sie umfaßt
einige der berühmtesten Bilder und zeigt Beispiele von
fast jedem Stoffgebiet, dem sich Liebermann als Maler zu-
gewandt hat. Die Ausstellung ist damals so eingehend
gewürdigt worden, daß es sich erübrigt, auf Grund dieser
farbigen Reproduktionen nochmals auf die Kunst Lieber-
manns einzugehen. Eine zutreffende Würdigung ließe
sich unter Zugrundelegung der Drucke sehr wohl geben,
denn alle Nuancen der Originale sind hier scharf und ge-
treu festgehalten. Das Vorurteil gegen farbige Repro-
duktionen, das geschmackvolle Kunstfreunde und vor allem
Kunsthistoriker sehr mit Recht hatten, ist durch aus-
gezeichnete Publikationen der letzten Jahre beseitigt worden.
Auch diese vorzügliche Veröffentlichung wird dazu beitragen,
der guten farbigen Abbildung neue Freunde zu gewinnen.

LITERATUR

August Schmarsow, Kompositionsgesetze der Franzlegende
in der Oberkirche zu Assisi. 1. Veröffentlichung des
Forschungsinstituts für Kunstgeschichte der Universität
Leipzig. Mit 14 Lichtdrucktafeln. Leipzig 1918. Verlag
von K. W. Hiersemann.

Die vorliegende Abhandlung bringt in erneuter An-
wendung der alten Methode des Verfassers, ohne voraus-
gesetzte Meinung und anders woher genommene künst-
lerische Forderungen aus der Betrachtung der Kunstwerke
allein die ihrer Stufe entsprechenden Gesetze zu gewinnen,
die Untersuchung der oft behandelten Franzlegende in
Assisi. Indem sie die Franzlegende als eine »unzerreiß-
bare Einheit« erkennt, bestätigt sie die Ergebnisse der
Forschung von Wulff und Rintelen, befindet sich aber
namentlich zu letzterem in einem Gegensatz, der die Prin-
zipien der Methode betrifft. Rintelen leitet aus dem Ver-
gleich mit Giotto und aus Forderungen an die Raumge-
staltung, die von späterer Kunst abgeleitet sind, abspre-
chende Urteile über die Bilder der Franzlegende in Assisi
her. Die Befragung der Eigengesetzlichkeit des Zyklus
ergibt die Unmöglichkeit der Erfüllung solcher Ansprüche
und läßt zugleich das tatsächlich Positive erkennen. Der
Zyklus gehört der Gotik an und folgt daher ihrem Rhyth-
mus. Diese rechnet nicht mit dem fixierten Standpunkt des
Beschauers dem Bild gegenüber, sondern mit seiner Be-
weglichkeit im Raum. Die Erzählung der Franzlegende
umzieht in bequemer Sehhöhe den Raum und will von
dem an ihr entlang gehenden Betrachter abgelesen werden.
Für diese Aufeinanderfolge bewegen sich die Figuren in
einer einheitlichen Vordergrundschicht, und die Füllung des
»Hintergrunds« mit landschaftlichen oder architektonischen
Stücken dient dazu, die Blickführüng zu unterstützen und
auf die geistige Bedeutung des Vorgangs hinzuleiten. Dem
dienen an geeigneter Stelle angebrachte Lücken, der feste
Rückhalt, den ein Architekturteil der Figur gewährt, Bild-
abschlüsse und bestimmte Einführung in das Bild. In ein-
gehender Analyse der 28 Bilder werden diese Funktionen
dargelegt. Das Verhältnis der Figuren zu den lediglich
den »Ort der Handlung« bedeutenden Architektur- und
Landschafisteilen bestimmt sich nach den Bedingungen
der klaren und einheitlichen Erzählung und den diese
unterstützenden Blickbahnen. Unangemessen ist der An-
spruch, daß die Bildteile zugleich in eine Raumtiefe leiten
sollen, raumdarstellende Funktion an der Hand einer ein-
heitlich Figuren und Hintergrund zusammenziehenden
Tiefenachse haben sollten. Diese Einstellung entspricht

nicht der Gotik, die mit dem beweglichen Standpunkt des
Beschauers rechnet, sondern der Renaissance, die dem Be-
trachter einen festen Standpunkt vor dem Bild anweist
und es für diesen in die Tiefe hinein nach den Gesetzen
der Zentralperspektive baut. In der engen Kapelle in
Santa Croce war für Giotto der feste Stand des Beschauers
gegeben und daher ist er hier schon auf dem Wege der
Zentralkomposition, die jedes Bild für sich läßt, nicht es
einreiht in den fortlaufenden Zyklus. Aus dieser Verschieden-
heit der künstlerischen Voraussetzungen ergibt sich, daß
Giotto nicht der Meister der Franzlegende sein kann, nicht
aber, weil dieser nicht zu einheitlicher Erfassung des Rau-
mes imstande war, die ihm vielmehr keine künstlerische
Aufgabe sein konnte. Die Raumbehandlung der Franz-
legende entspricht der Kunststufe des Gotikers, Werturteile
können nicht hieraus abgeleitet werden.

Aus den durchgehend festgehaltenen gleichen Kom-
positionsgesetzen ergibt sich die Einheitlichkeit des Ganzen,
nur in den letzten Stücken, etwa von der Klage der Klaris-
sen an kann man ein stärkeres sich Vordrängen eines
zweiten ausführenden Gehilfen annehmen, der einheitliche
Plan bleibt jedoch gewahrt. Der Meister erweist sich in
den Architekturdarstellungen der Bilder als in einer der in
Mittelitalien tätigen Bauhütten geschult, er steht aber auch
in engem Zusammenhang mit der gotischen Entwicklungs-
phase der römischen Cosmatenschule, dazu treten neben
übernommene Vorlagen Neuentwürfe und Aufnahmen wirk-
licher Bauwerke (Bestätigung der Ordensregel). Auch
für die Figurendarstellung fußt der Meister auf traditionellen
Vorlagen und ist außerdem bestimmt von dem mittelalter-
lichen Prinzip der Beschränkung auf das Typische. Ein
neuer Stoff, die Franzlegende, sollte in ebenso allgemein
verständlicher Weise erzählt werden, wie die herkömmlichen
Stoffe des christlich-mittelalterlichen Vorstellungskreises.
Dieser Absicht dient die künstlerische Gestaltung, die Blick-
führung an der Bilderreihe entlang, das Verbleiben der
Figuren in einer vorderen Schicht, der Verzicht darauf, sie
als raumbildende Elemente zu verwerten. Die Person des
Meisters wird übereinstimmend mit Thode und Wulff als
identisch mit dem Maler der Kirchenväter an den Ge-
wölben der Oberkirche erkannt, nur daß dieser unmöglich
Giotto sein kann. Für die Datierung ist der Umstand aus-
zunutzen, daß 1298 erst die Anerkennung der Kirchenväter
als »Doctores Ecclesiae« erfolgt ist. Der Meister wurzelt
noch in der Kunst des Dugento und der Auftrag für die Franz-
legende muß mit dem Jubiläum 1300 zusammenhängen.
Ein erneuter Vergleich des Fassadenmosaiks des Filippo
Rusifi in S. Maria Maggiore in Rom ergibt die künstlerische
Ubereinstimmung dieses mit den Kirchenvätern in Assisi,
und so erweist sich, daß Filippo Rusiti der Meister der
Franzlegende auch sein muß. Seine Kunst leitet sich aus
der römischen her und bildet zugleich deren Abschluß in
der Gotik, bevor die Führung an Toskana überging. Maß-
gebend für ihre Beurteilung muß bleiben, daß es die erste
Darstellung einer Zeitgeschichte war, für die die überliefer-
ten Formen der heiligen Geschichten nicht mehr ausreichten.
Der Meister ist kein Schüler Giottos, er ist ganz Gotiker,
der nach dem Rhythmus des gotischen Raumes schafft,
der eben mit sukzessiver Aufnahme durch den Betrachter
rechnet. Das Trecento ist als Übergang zwischen Dugento
und Quattrocento bestimmt von der Gotik als eigent-
lichem Träger der Entwicklung. So erweisen sich die
Grundsätze der Methode wieder als fruchtbar für die
der Eigentümlichkeit der jeweiligen Kunst einzig gerechte
Charakterisierung. Dr. Emmy Voigtländer.

Inhalt: Brand im Schlosse Qottorf. Von Richard Haupt. — Philipp Ritter t; Willy Lukas t; Dr. Willibald Herrnens f; Friedrich von Schennis f;

Eugenie Bandell f; Dr. Kurt Posse f. — Personalien. — Fund in Elbing. — Ausstellungen in Berlin und München. — Eine Graf-Ferdinand-
Harrach-Stiftung. — Vermischtes. — August Schmarsow, Kompositionsgesetze der Franzlegende in der Oberkirche zu Assisi.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstraße IIa
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o.m.b.H., Leipzig
 
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