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Kunstchronik und Kunstliteratur — 65.1931/​1932

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Heft 4 (Juli 1931)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61877#0037
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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR
BEILAGE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR BILDENDE KUNTS
HERAUSGEBER: PROFESSOR DR. GRAUL / SCHRIFTLEITER: DR. NACHOD
Heft 4 Juli J931

DER BRAUNSCHWEIGER VERMEER

VON WILHELM JESSE

Einen kurzen Bericht über den beabsichtigten Ver-
kauf des Braunschweiger Bildes von Vermeer
„Das Mädchen mit dem Weinglase“ zu geben, ist
eine weder leichte noch besonders dankbare Auf-
gabe. Hat schon der Verkaufsplan außerhalb Braun-
schweigs alle interessierten Kreise lebhaft beschäf-
tigt und zu mehr oder minder temperamentvollen
Äußerungen in der Fach- und Tagespresse geführt
(vgl. besonders Winkler in „Kunst und Künstler“
1929/30, S. 74f.)> so prallen erklärlicherweise in
Braunschweig selbst bei den vielfachen engen per-
sönlichen Verkettungen der beteiligten Kreise die
Meinungen für und wider noch heftiger aufeinander.
Der Verfasser muß deshalb von vornherein erklären,
daß er zu den Gegnern des Verkaufs gehört, aber in
der Lage zu sein glaubt, aus der Kenntnis der be-
sonderen örtlichen Verhältnisse heraus über die
Umstände, die überhaupt zu diesem Plane führen
konnten, sachlich zu berichten und das Vorgehen zu
beurteilen, das die Vertreter des Verkaufs vielleicht
doch noch zum Ziele führt, wenn nicht weiter, und
nicht nur in Braunschweig selbst, energisch dagegen
Stellung genommen wird.
Bei der Auseinandersetzung zwischen Staat und
Herzog ist die Rechtsfrage nach dem Eigentum an
den Beständen des Museums und der Wolfenbütteler
Bibliothek wohl aufgeworfen, aber von keiner der
beiden Parteien einer gerichtlichen Entscheidung
unterstellt worden. Man fand einen Ausweg in der
Gründung einer Museums- und Bibliotheks-
stiftung, in der beide Institute von Staat und Her-
zog zu gleichen Teilen unterhalten werden und die
unter einem Stiftungsvorstande von je zwei vom
Staat und vom Herzog ernannten Personen und
ihren Stellvertretern steht. Daß in diesem Vorstande
weder ein Museums- noch der Bibliotheksdirektor
noch ein anderer Fachmann sitzt sondern höchstens
nach Ermessen zugezogen wird, vermag es wenig-
stens zu einem Teil zu erklären, daß in diesem Gre-
mium der satzungsgemäß notwendige einstimmige
Beschluß vom 27. August 1930 gefaßt werden konnte,
das Verkaufsangebot anzunehmen, einem Eventual-
verkaufsvertrag zuzustimmen und ihn den beiden
Patronen zu empfehlen. Allerdings ist auch dieser
Beschluß nur durch das zufällige Eintreten eines
wohl nicht völlig in der Sache stehenden Stellver-
treters von staatlicher Seite zustandegekommen.
Z. f. b. K. Beilage

Diese Zusammensetzung des Vorstandes ist auch
dafür verantwortlich zu machen, daß der Vermeer
gegen das Gutachten des leitenden Museumsbeamten
1929 auf die private Ausstellung eines Berliner Kunst-
händlers geschickt, und daß so der Kunsthandel
auf das Bild aufmerksam gemacht wurde. Antrag-
steller in der Verkaufsfrage war die herzogliche Seite.
An den Herzog war der Käufer oder Vermittler heran-
getreten, und der Herzog gab die Sache an den zu-
ständigen Stiftungsvorstand weiter. Die herzoglichen
Vertreter sind auch heute noch die energischen und
ungemein rührigen Verfechter des Verkaufs und ar-
beiten zum Teil mit ungewöhnlichen Mitteln. (Z. B.
wurde einem Beamten des Museums untersagt, im
Geschichtsverein einen Vortrag über den Künstler
Vermeer und seine Werke zu halten!) Der Stiftungs-
vorstand begründet den Verkauf in seiner dem braun-
schweigischen Minister fürVolksbildung überreichten
Denkschrift vom 31. Oktober 1930 in erster Linie
mit der finanziellen Notlage des herzoglichen Hauses.
DessenEtat wird durch dieStiftung mit rund 70 000RM
belastet, während die auf 60000 RM geschätzten Er-
trägnisse der herzoglichen Domäne Lichtenberg auf
36500 RM zurückgegangen seien. (Die Verpachtung
soll 62000 RM ergeben, der Rest aber durch Grund-
steuern u. ä. aufgehen.) Diese Domäne war dem Her-
zog allerdings mit Rücksicht auf seine Belastung
durch die Stiftung zugesprochen worden, ohne daß
aber eine vertragliche Festlegung auf eine bestimmte
Ertragssumme erfolgt ist, was vom Staate auch
durchaus bestritten wird. Der Stiftungsvorstand fol-
gerte,daß der Herzognurzur Zahlung dieser 36 500 RM
verpflichtet sei und der Staat seinen Beitrag ebenfalls
auf diese Summe zurücksetzen und dadurch für Mu-
seum und Bibliothek eine ungeheure Notlage ent-
stehen würde, aus der einzig der Verkauf des Vermeer
retten könne. Es sollen also die aus der Verzinsung des
Verkaufspreises von 2 700000 RM fließenden Gelder
in der Hauptsache für die Bestreitung der Verwal-
tungskosten beider Anstalten, dann für notwendige
Restaurierungen (die Denkschrift zählt 32 Bilder
namentlich auf) und der Restbetrag für Neuerwer-
bungen verwendet werden. Dabei wird mit moderner
Kunst kokettiert, für die sonst in den Kreisen des
Stiftungsvorstandes kein sehr erhebliches Interesse
zu verspüren gewesen ist.
Alle diese und andere Gründe, die von den Ver-
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