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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR
solchen Spannkraft der Erscheinung, daß nur der
große Bruder des Ambrosius, daß nur Hans Holbein
der Jüngere als Maler in Betracht kommt.
Im Werke Lians Holbeins des Jüngeren rückt das
hier besprochene Gemälde in unmittelbare Nähe der
Bildnisse des Jakob Meyer und seiner Gattin von 1516.
Mit den Baseler Bildern verbinden es die Farben-
gebung, die Haltung, die Führung des Konturs, die
Haarbehandlung und die Art der Wiedergabe des
Kostüms auf das engste. Auch den offenen, in die
Ferne schweifenden Blick finden wir hier wie dort.
Das Bild im Wiener Privatbesitz muß vor dem
Porträt des Benedikt von Hertenstein von 1517 im
New-Yorker Metropolitan Museum, dessen Kompo-
sition übrigens kürzlich von Christoffel mit ganz
unzureichender Begründung völlig zu Unrecht be-
zweifelt worden ist, und vor dem verschollenen
Urbild des Frauenporträts im Haag entstanden sein.
Gegenüber dem Überreichtum an Belebung der
Fläche, der das Wiener Bild ebenso wie die beiden
Baseler Porträte von 1516 auszeichnet und der sich
vor allem in der Faltengebung geltend macht, ist in
diesen Werken schon eine Beruhigung eingetreten.
Holbein kann nun seine Absicht, vollplastische Wir-
kung zu geben, mit viel großzügigeren Mitteln er-
zielen. Ist also das neue Porträt von dem Hertenstein-
bildnis vor 1517 entstanden, so glaube ich doch
wieder, daß es erst nach den Baseler Bildern von
1516 gemalt sein kann. Die Auffassung ist freier,
die Haltung natürlicher. Der Unterschied wird noch
stärker, wenn wir das Wiener Bildchen mit den
ganz ähnlich in den Raum gestellten, des architek-
tonischen Beiwerks noch entbehrenden Jakob und
Dorothea Meyer darstellenden Silberstiftzeichnungen
vergleichen. Die Entwicklungslinie geht deutlich von
den Baseler Zeichnungen über das Wiener Bild zum
Bildnis des Bonifazius Amerbach von 1519. Eine
parallele Entwicklungslinie läuft dann von dem ge-
malten Porträt der Jakob Meyer über das Herten-
steinsche Bildnis zum Porträt des Humanisten
Zimmermann von 1520 im Nürnberger Germani-
schen Museum. Dem Meyerporträt, dem Jünglings-
bildnis in Wien und dem Amerbachporträt ist vor
allem die gleiche Gesichtsansicht und die gleiche
Führung des Konturs von Nase und Wange eigen.
Aber die Haltung des Körpers wird bei ähnlicher
Drehung immer schlanker und freier.
Für unsere Kenntnis von den Anfängen Holbein-
scher Bildnismalerei ist das neue Bild besonders
durch den Umstand wichtig, daß wir in ihm das
früheste Porträt zu erkennen haben, auf dem der
Dargestellte sich ohne architektonisches und land-
schaftliches Beiwerk von dem neutralen, ganz gleich-
mäßig gefärbten Grund abhebt. Kompositionell und
koloristisch schließt sich das Werk eng an das 1515
datierte, HH signierte Jünglingsporträt in Darmstadt
an, das bekanntlich zwischen den beiden Hans Hol-
bein, Vater und Sohn, strittig ist. Gerade das neue
Werk des Sohnes bestärkt mich aber in der Ansicht,
daß der Vater als Maler des Darmstädter Bildnisses
zu gelten hat. In ihm ist nichts von der ungewöhn-
lichen Bewegung der Fläche in allen Einzelheiten,
nichts von der vollen Plastik der Form und nichts
von dem sprühenden Temperament, nichts also von
all den Eigenschaften, die uns bei Betrachtung des
Bildes imWienerPrivatbesitz sofort ins Auge springen.
In dem Darmstädter Porträt ist vielmehr jene schlichte
Einfachheit und Ruhe, jene Stille in Auffassung und
Formgebung, die uns in den anderen Bildniskompo-
sitionen des Vaters, zu denen ich auch das Brustbild
eines älteren bartlosen Mannes in der Sammlung
Bache in New York (abgeb. International Studio
November 1927, p. 21) zähle, entgegentritt. Zeigt sich
also ein Wesensunterschied in Auffassung und Form-
gestaltung zwischen den beiden Werken in Darmstadt
und Wien, der bei dem knappen in Betracht kom-
menden Zeitunterschied von höchstens zwei Jahren
die Autorschaft desselben Künstlers auszuschließen
scheint, so ist andererseits die Ähnlichkeit wieder so
groß, daß wir noch deutlicher als bisher merken: die
Porträtkunst des Sohnes hat von der des Vaters
ihren direkten Ausgang genommen.
DIE HERKUNFT VON ANDREAS SCHLÜTER
VON E. KEYSER, DANZIG
Über die Herkunft des berühmten Berliner Meisters An-
dreas Schlüter streiten sich seit langem die Städte Hamburg
und Danzig. Durch Cornelius Gurlitt (Andreas Schlüter, 1891)
ist in der kunstgeschichtlichen Literatur die Meinung ver-
breitet worden, Andreas Schlüter sei am 22. Mai 1664 in der
St. Michaeliskirche in Hamburg getauft worden. Sein Vater
Gerhard Schlüter habe am 17. April 1663 das Bürgerrecht
dort erworben. Diese Angaben aus den Hamburger Kirchen-
büchern erschienen um so zuverlässiger, als Friedrich Nicolai
in seinem Buche über die Residenzstädte Berlin und Pots-
dam (1769) angab, Andreas Schlüter wäre um 1662 in Ham-
burg geboren und sein Vater hätte sich mit seinem noch sehr
jungen Sohn bald darauf nach Danzig begeben, wo Andreas
bei einem Bildhauer Zappovius die ersten Anfangsgründe
seiner Kunst gelernt hätte. Die neuesten Forschungen des
Direktors des Hamburger Staatsarchivs Hans Nirrnheim
haben ergeben, daß der 1664 in Hamburg getaufte Andreas
Schlüter dem berühmten Künstler nicht gleichzusetzen ist;
dagegen konnte er einen Steinhauergesellen Andreas Schlüter
für die Jahre 1660-62 in Hamburg nachweisen. Er vermutet,
daß dieser Geselle der Vater des Meisters gewesen ist. Der
Sohn Andreas wäre demnach zwischen Januar und März 1661
in Hamburg geboren.
Auch die Danziger Forschung ist in der Bestimmung der
Herkunft Schlüters zunächst fehlgegangen. Nach den For-
schungen von Blech und Cuny gab Robert Bruck 1910 in
der Allgemeinen deutschen Biographie an, Andreas Schlüter
wäre am 5. März 1634 in Danzig geboren. Doch konnte in-
zwischen nachgewiesen werden, daß dieser Andreas Schlüter
zwar auch Bildhauer geworden, aber ohne Zusammenhang
mit dem gesuchten Meister in Danzig verstorben ist. Dagegen
konnte die Taufe eines anderen Andreas Schlüter am 13. Juli 1659
KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUR
solchen Spannkraft der Erscheinung, daß nur der
große Bruder des Ambrosius, daß nur Hans Holbein
der Jüngere als Maler in Betracht kommt.
Im Werke Lians Holbeins des Jüngeren rückt das
hier besprochene Gemälde in unmittelbare Nähe der
Bildnisse des Jakob Meyer und seiner Gattin von 1516.
Mit den Baseler Bildern verbinden es die Farben-
gebung, die Haltung, die Führung des Konturs, die
Haarbehandlung und die Art der Wiedergabe des
Kostüms auf das engste. Auch den offenen, in die
Ferne schweifenden Blick finden wir hier wie dort.
Das Bild im Wiener Privatbesitz muß vor dem
Porträt des Benedikt von Hertenstein von 1517 im
New-Yorker Metropolitan Museum, dessen Kompo-
sition übrigens kürzlich von Christoffel mit ganz
unzureichender Begründung völlig zu Unrecht be-
zweifelt worden ist, und vor dem verschollenen
Urbild des Frauenporträts im Haag entstanden sein.
Gegenüber dem Überreichtum an Belebung der
Fläche, der das Wiener Bild ebenso wie die beiden
Baseler Porträte von 1516 auszeichnet und der sich
vor allem in der Faltengebung geltend macht, ist in
diesen Werken schon eine Beruhigung eingetreten.
Holbein kann nun seine Absicht, vollplastische Wir-
kung zu geben, mit viel großzügigeren Mitteln er-
zielen. Ist also das neue Porträt von dem Hertenstein-
bildnis vor 1517 entstanden, so glaube ich doch
wieder, daß es erst nach den Baseler Bildern von
1516 gemalt sein kann. Die Auffassung ist freier,
die Haltung natürlicher. Der Unterschied wird noch
stärker, wenn wir das Wiener Bildchen mit den
ganz ähnlich in den Raum gestellten, des architek-
tonischen Beiwerks noch entbehrenden Jakob und
Dorothea Meyer darstellenden Silberstiftzeichnungen
vergleichen. Die Entwicklungslinie geht deutlich von
den Baseler Zeichnungen über das Wiener Bild zum
Bildnis des Bonifazius Amerbach von 1519. Eine
parallele Entwicklungslinie läuft dann von dem ge-
malten Porträt der Jakob Meyer über das Herten-
steinsche Bildnis zum Porträt des Humanisten
Zimmermann von 1520 im Nürnberger Germani-
schen Museum. Dem Meyerporträt, dem Jünglings-
bildnis in Wien und dem Amerbachporträt ist vor
allem die gleiche Gesichtsansicht und die gleiche
Führung des Konturs von Nase und Wange eigen.
Aber die Haltung des Körpers wird bei ähnlicher
Drehung immer schlanker und freier.
Für unsere Kenntnis von den Anfängen Holbein-
scher Bildnismalerei ist das neue Bild besonders
durch den Umstand wichtig, daß wir in ihm das
früheste Porträt zu erkennen haben, auf dem der
Dargestellte sich ohne architektonisches und land-
schaftliches Beiwerk von dem neutralen, ganz gleich-
mäßig gefärbten Grund abhebt. Kompositionell und
koloristisch schließt sich das Werk eng an das 1515
datierte, HH signierte Jünglingsporträt in Darmstadt
an, das bekanntlich zwischen den beiden Hans Hol-
bein, Vater und Sohn, strittig ist. Gerade das neue
Werk des Sohnes bestärkt mich aber in der Ansicht,
daß der Vater als Maler des Darmstädter Bildnisses
zu gelten hat. In ihm ist nichts von der ungewöhn-
lichen Bewegung der Fläche in allen Einzelheiten,
nichts von der vollen Plastik der Form und nichts
von dem sprühenden Temperament, nichts also von
all den Eigenschaften, die uns bei Betrachtung des
Bildes imWienerPrivatbesitz sofort ins Auge springen.
In dem Darmstädter Porträt ist vielmehr jene schlichte
Einfachheit und Ruhe, jene Stille in Auffassung und
Formgebung, die uns in den anderen Bildniskompo-
sitionen des Vaters, zu denen ich auch das Brustbild
eines älteren bartlosen Mannes in der Sammlung
Bache in New York (abgeb. International Studio
November 1927, p. 21) zähle, entgegentritt. Zeigt sich
also ein Wesensunterschied in Auffassung und Form-
gestaltung zwischen den beiden Werken in Darmstadt
und Wien, der bei dem knappen in Betracht kom-
menden Zeitunterschied von höchstens zwei Jahren
die Autorschaft desselben Künstlers auszuschließen
scheint, so ist andererseits die Ähnlichkeit wieder so
groß, daß wir noch deutlicher als bisher merken: die
Porträtkunst des Sohnes hat von der des Vaters
ihren direkten Ausgang genommen.
DIE HERKUNFT VON ANDREAS SCHLÜTER
VON E. KEYSER, DANZIG
Über die Herkunft des berühmten Berliner Meisters An-
dreas Schlüter streiten sich seit langem die Städte Hamburg
und Danzig. Durch Cornelius Gurlitt (Andreas Schlüter, 1891)
ist in der kunstgeschichtlichen Literatur die Meinung ver-
breitet worden, Andreas Schlüter sei am 22. Mai 1664 in der
St. Michaeliskirche in Hamburg getauft worden. Sein Vater
Gerhard Schlüter habe am 17. April 1663 das Bürgerrecht
dort erworben. Diese Angaben aus den Hamburger Kirchen-
büchern erschienen um so zuverlässiger, als Friedrich Nicolai
in seinem Buche über die Residenzstädte Berlin und Pots-
dam (1769) angab, Andreas Schlüter wäre um 1662 in Ham-
burg geboren und sein Vater hätte sich mit seinem noch sehr
jungen Sohn bald darauf nach Danzig begeben, wo Andreas
bei einem Bildhauer Zappovius die ersten Anfangsgründe
seiner Kunst gelernt hätte. Die neuesten Forschungen des
Direktors des Hamburger Staatsarchivs Hans Nirrnheim
haben ergeben, daß der 1664 in Hamburg getaufte Andreas
Schlüter dem berühmten Künstler nicht gleichzusetzen ist;
dagegen konnte er einen Steinhauergesellen Andreas Schlüter
für die Jahre 1660-62 in Hamburg nachweisen. Er vermutet,
daß dieser Geselle der Vater des Meisters gewesen ist. Der
Sohn Andreas wäre demnach zwischen Januar und März 1661
in Hamburg geboren.
Auch die Danziger Forschung ist in der Bestimmung der
Herkunft Schlüters zunächst fehlgegangen. Nach den For-
schungen von Blech und Cuny gab Robert Bruck 1910 in
der Allgemeinen deutschen Biographie an, Andreas Schlüter
wäre am 5. März 1634 in Danzig geboren. Doch konnte in-
zwischen nachgewiesen werden, daß dieser Andreas Schlüter
zwar auch Bildhauer geworden, aber ohne Zusammenhang
mit dem gesuchten Meister in Danzig verstorben ist. Dagegen
konnte die Taufe eines anderen Andreas Schlüter am 13. Juli 1659