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Kunstchronik und Kunstliteratur — 65.1931/​1932

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Heft 9/10 (Dezember-Januar 1931/32)
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KUNSTCHRONIK UND KUNSTLITERATUF

im Vorteilungskreis seiner Zeit. Dor Verfasser erörtert ganz
allgemein, was Heine von China und Japan gewußt hat.
In einem kurzen Schlußwort legt Hessel fest, was nach
seiner Ansicht die Kunsturteile Heines verbindet. Heine
gefalle „das Harmonische, das Klare, das leicht Überseh-
bare“, dagegen stoße ihn „das Verwickelte, das Posenhafte,
das ,Barocke*, das Esoterische“ ab. Heines Stellung gegen die
Hierarchie beeinflusse sein Urteil über die mittelalterliche
Kunst. Er liebe dagegen die „Darstellungen des Volkslebens“.
Diese Bestimmungen reichen nicht zu. Heine ist natürlich
da, wo er sich über bildende Kunst äußert, schwer zu fassen,
wenn man diese Äußerungen möglichst für sich nimmt, wie
es der Verfasser beim Ziel seiner Untersuchung tun muß.
Aber in den Darlegungen des Verfassers steht doch noch
mancherlei zwischen den Zeilen. Man spürt deutlich, daß
Heine in seinen Kunsturteilen nicht sicher zugreift, sondern
seine persönlichen Eindrücke, in die mannigfache Anregun-
gen hineinwirken, umspielt. Wenn Heine nach Wertungen
sucht, hält er sich im ganzen zum Neuhumanismus der Zeit,
der romantisch aufgelockert ist, und zwar vertritt er eine
Art sensualistischen oder individualisierenden Neuhumanis-
mus. Im Grundsätzlichen entfernt er sich nicht weit von
A. W. Schlegel. (Wie Heine zu A. W. Schlegel gestanden
hat, darüber gibt der Verfasser in einem Anhang Aufschlüsse.)
Einen wirklich neuartigen und eigenen Standort hat Heine
nicht gewonnen. So können seine schwebenden Kunstbetrach-
tungen uns vor allem zeigen, wie in den zwanziger und
dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ein beweglicher Kunst-
liebhaber von besonderer literarischer Wirkung bildende Kunst
auffaßte und was ihm zudem an bildender Kunst zugänglich
war. Zu diesem Ziel ist die reiche Untersuchung des Ver-
fassers ein guter Führer. Friedrich Neumann (Göttingen)
Otto H. Förster, Kölner Kunstsammler vom Mittel-
alter bis zum Ende des b ü r g e r ] i c h e n Zeitalters.
Ein Beitrag zu den Grundfragen der neueren Kunst-
geschichte. Berlin, Verlag von Walter de Gruyter&Co. 1931.
Dieses Werk, im Auftrage des Kölnischen Kunstvereins
entstanden, verdient weit über den lokalen Bereich hinaus
Aufmerksamkeit. Zunächst bietet es eine Fülle rein sach-
licher Aufschlüsse über die Schicksale zahlreicher Kunstwerke
im Lauf der Jahrhunderte. Während quellenmäßig gewissen-
haft die verschiedenen Sammler und Sammlungen behandelt
und charakterisiert werden, die etwa seit dem 16. Jahrhun-
dert bis zum Ende des 19. in Köln nachweisbar sind, erfährt
man nicht ohne Überraschung von vielen und bedeutenden
Gemälden, Skulpturen, Graphikwerken und Antiken, die
einmal in Köln gewesen und mehr oder weniger spurlos
wieder von dort verschwunden sind. Besonders wesentlich
natürlich, das Schicksal bekannter Kunstwerke oder der
Werke bekannter Künstler hier zu verfolgen. Das glückt
besonders bei der Sammlung Everhard Jabachs, der sich als
erste Sammlerpersönlichkeit ganz großen Stils von den früheren
aus dem geistlichen Gelehrtenstande kommenden Sammlern
unterscheidet. Man weiß heute kaum mehr, daß eine Anzahl
wesentlicher Schätze des Louvre, wie Giorgiones Ländliches
Konzert, Tizians Emmausjünger, Grablegung, Junge Frau
bei der Toilette, Correggios Antiope, Bilder von Caravaggio,
Giulio Romano, Pteni, Lanfranco usw. aus dem Vermächtnis
dieses später nach Paris übergesiedelten Kölners stammen;
daß auch deutsche Sammlungen, wie Berlin, Dresden, München,
Köln einzelne Stücke aus seinen Beständen aufweisen . . .
Immerhin ist die Sammlung Jabach noch ein Begriff, schon
durch das Erlebnis Goethes, dem bei seinem Besuch im
Jabachhause zu Köln 1774 wesentliche Erkenntnisse über
die Beziehungen von Kunst und Leben aufgingen, die er in
Dichtung und Wahrheit niederlegte. Eine bedeutsame Ent-
deckung früheren Kölner Kunstbesitzes gelingt aber Förster
durch Feststellung des Kunstbesitzes von Gerhard von Imsten-
raedt, eines Verwandten von Jabach, der u. a. ein Doppel-
bildnis A. van Dycks (Karl I. und Gemahlin), Tizians Schin-
dung des Marsyas, den schönen Männerkopf von 1505, wohl

ein Selbstbildnis Dürers, eine ruhende Venus von Giorgione,
vier Bildnisse von Holbein, eine hl. Familie von Raffael,
Werke von Mantegna, Tintoretto, del Piombo, Cranach, Bosch,
Breugel u. a. besessen hat. Und zwar ist man in diesem Falle
nicht auf die unkontrollierbaren Angaben des erhaltenen
Kataloges angewiesen, sondern man hat den Verbleib einer
großen Zahl dieser Bilder feststellen können, die sich heute
im Erzbischöflichen Schloß in Kremsicr (Tschechoslowakei)
befinden. - Sehr wenig bekannt ist fernerhin, daß Köln
schon einmal gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein ausge-
zeichnetes Museum hätte haben können, wenn die Stadtver-
waltung sich rechtzeitig zur Übernahme entschlossen hätte;
es handelte sich um die Studiensammlungen des Jesuiten-
gymnasiums, die nicht nur mehrere tausend kostbare Mün-
zen, Gemmen, antike Vasen, Gläser und Geräte, außerdem
große Bestände an wertvollen und seltenen Mineralien ent-
hielt, sondern auch neben wertvollen Inkunabeln und Hand-
schriften 208 Bände mit Originalzeichnungen und Kupfer-
stichen aller Zeiten und Schulen, von denen der größteTeil heute
zum Besitz der Pariser Nationalbibliothek gehört. Die Ge-
schichte der Sammlung Hüpsch, die nach Darmstadt, der Samm-
lung Boisseree, die nach München abwanderte, ist bekannter.
Selbstverständlich erfährt man auch Interessantes über den
Kreis Wallrafs, und das langsam sich verändernde, auf den
Kapitalismus sich umstellende Sammlerlcben im 19. Jahrh.
Doch über diesen aufschlußreichen Einzelheiten sind die
großen Gesichtspunkte nicht vernachlässigt. Bestimmende
Wirkungen nach außen, die von Kölner Sammlungen aus-
gingen, werden klar herausgestcllt, wie das Erlebnis Goethes
im Jabachhause und die Bedeutung der Sammlung Boisseree
für die beginnende Romantik. Vor allem wird aber das
soziologische Moment stärker als bei den üblichen histori-
schen Arbeiten berücksichtigt, in der klaren Erkenntnis, daß
nicht die Kunst in Isolierung vom Leben allein zu betrachten
sei, sondern ebenso sehr in ihrer lebendigen Wechselwirkung
mit dem Geist- und Gesellschaftswesen der verschiedenen
Perioden, das andererseits wieder auf ihre Entwicklung zurück-
strahlt und sie in vieler Hinsicht erst ermöglicht, so wie das
in dem hier behandelten bürgerlichen Zeitalter tatsächlich
für das Sammelwesen zutrifft. Försters Buch, in einem recht
lebendigen, auch den weniger Gelehrten fesselnden Stil verfaßt,
bietet so gleichermaßen historische Tatsachen wie rein mensch-
liche Feststellungen von bedeutendem Wert. L. St.-E.
Hermann Grom-Rohmeyer, Probleme der Darstel-
lung. Krystall-Verlag, Wien 1930.
Eine kunstthcoretische Schrift, die sich mit den Problemen
der Form, des Raumes, des Rhythmus und der künstlerischen
Harmonie beschäftigt und auch das moderne Bühnenbild in
den Umfang ihrer Betrachtungen zieht, desgleichen die künst-
lerische Ausschmückung der Schaufenster berücksichtigt. -
Unter Form versteht Verfasser den Gegenstand an sich, mag
er als Daseinsform oder in einer besonderen Erscheinungs-
form geschaut werden; Raum ist die gleichsam vom Inneren
des Gegenstandes erfühlte Form, ein Ausschnitt, dem die
Form des Gegenstandes eine Begrenzung gibt. Jedes Kunst-
werk muß Form und Raum seines Gegenstandes zur „Dar-
stellung“ bringen. Im Werk bringt der Künstler den in
Form und Raum liegenden Sinn zum Ausdruck. Der Künst-
ler ist gleichzeitig Analytiker und Synthetiker; formales
künstlerisches Sehen ist stets auch ein plastisches, ein raum-
haftes. Lineare Kunst, Flächenkunst ist der Niederschlag
eines nur Teil-Sehens, ein verarmtes. Denn gerade im Raum-
sehen und im Raumempfinden verspüren wir ein Überempi-
risches, eine Lenkung zum Transzendentalen. Dieses Wertgefühl
ist aber in der Kunst das Allerheiligste. - Das Rhythmische,
Musikalische findet seinen Ausdruck in der freien Kurve, durch
den Parallelismus, in der „rhythmisch“ gegliederten Linie.
Rhythmus, innere Harmonie, zum Ausdruck kommende or-
ganische Zweckmäßigkeit bedingt künstlerische Schönheit. -
Das Charakterische des Nationalen, seiner Verwachsung mit
dem heimatlichen Boden wird und muß stets den künst-
lerischen Ausdruck im Werk seine spezifische Tönung geben.
 
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