Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 55.1919/​1920 (Oktober-März)

DOI Heft:
Nr. 14 (2. Januar 1920)
DOI Artikel:
Clemen, Paul; Gurlitt, Cornelius [Gefeierte Pers.]: Zum Siebzigsten Geburtstag von Cornelius Gurlitt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29588#0322

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
284 Zum fiebzigften Geburtstag von Cornelius Gurlitt

rismus von der herrlchenden Stellung in unferer Kunlt wie aus dem Leben,
aus Dichtung und Bühne mußte notwendig aucb in der AuffalTung von der
Weiterarbeit an den Kunltfchöpfungen einer großen Vergangenheit eineVer-
änderung eintreten, und eine ihrer eigenen Kraft bewußte Zeit mußte das-
felbe Recht und diefelbe Pflicht haben, ihr Beltes in folchen Zutaten, Um-
änderungen, in Fortfetzung des Bauwerks oder des Dekorationsgedankens
zu zeigen, wie jede vergangene Periode. Vielleicht wurde in dem erlfen
Eifer der Durchführung des neuen Programms oft vergelTen, daß der eine
große Unterfchied darin lag, daß unferer Zeit eben jenes Gefühl der Selb-
ftändigkeit und der Naivetät mangelt, das die friiheren Jahrhunderte getragen
hatte, und daß wir gerade darum eine doppelte Verpfliditung haben, uns mit
neuen Zutaten in die Mafle und in die Linienführung wie in den Rhythmus
und die Stimmung des Alten einzufügen. Die erften Verfuche aus jenem
entfcheidenden Jahrzehnt, eine neue Ausftattung oder architektonifche An^
bauten als vollgültigen Ausdruck ihrer Zeit erfcheinen zu laflen, trugen vieL
leicht in manchem allzufehr den Charakter des Gewollten und deshalb Ge-
quälten. Das einfache und felbftverftändliche Sich=ftillfchweigend=LInterordnen
fdiien manchmal vergelfen zugunften der mandven aufdringlich deuchenden Be-
kenntnisformel. Aber der Dom zu Freiberg wird mit den merkwürdigen
Anbauten von Gräbner wie von Bruno Schmitz ein wichtiges Denkmal und
ein Merkltein auch in der Gefchidite der lebendigen Kirchenbaukunft dar^
ftellen, und die fo bald iiberholte Ausftattung der Dresdener Kreuzkirche
wird vielleicht noch einmal nach einem Jahrhundert ein ebenfo wertvolles
hiftorifches Dokument als Frühwerk des neuen dekorativen Stils fein, wie
die Erftlingsarbeiten von Meilfonier und Oppenort.

Was hier unter Gurlitts Führung in den Stein umgefetzt worden war
und Leben gewonnen hatte, das hat er als Theoretiker, als ftrafender Buß-
prediger und als begeifterter Prophet in Hunderten von Vorlefungen und
Vorträgen, als Redner auf Dutzenden von Kongreflen, Tagungen für Denk®
malpflege und Heimatfchutz, auf Architektenverfammlungen erhärtet, wieden»
holt, vertieft, erweitert, ausgeführt. In dem Streit um das Heidelberger Sdhloß,
um den Wormfer Dom war er einer der Wortführer, und er bewies hier
wahrlich, daß er nichts weniger als ein Doktrinär war — in dem Kampf um
die Meißener Domtürme ftand er faft allein gegen Karl Schaefer — und die
Folgezeit hat ihm recht gegeben. Was er als Gutachter und Preisrichter in
großen ftädtebaulichen Fragen, bei Monumentalfdhöpfungen und bei kitzlichen
Fragen des Denkmalfchutzes gewirkt, war wie eine weitere Nutzanwendung
feiner Grundanfchauung. Ein befonderes Gebiet, das des protelfantifchen
Kirchenbaues, hatte ihm als Hiftoriker wie als Künftler paradigmatifch ge*
zeigt, daß es für die kirchliche Architektur nur ein formenfchaffendes Gefetz
 
Annotationen