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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 55.1919/​1920 (Oktober-März)

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Nr. 21 (20. Februar 1920)
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Baldass, Ludwig: Die Wiener Gobelins-Sammlung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.29588#0454

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Die Wiener Gobelins=SammIung

16. Jahrhundert entftammenden) fchwachen Brüfleler Exemplare der Raffael-
tapeten ankaufte. Die Erhaltung der deponierten Tapiflerien ift faft durdi-
wegs eine ausgezeichnete, da fie den verderblichen Einflüflen des direkten
Sonnenlichtes und der Heizungswärme nicht ausgefetzt waren,- einige wenige
find zerriflen oder in alten Zeiten mangelhaft geflickt,- viele find in vorbild-
licher, durchwegs fachgemäßer Weife reftauriert. — Die kunfthiftorifche Er-
forfchung der Wiener Gobelinsfammlung ift felbftverftändlich eine Arbeit von
Jahren. Der Verfafler will hier nur einen fchwachen Begriff von der Wich-
tigkeit der Sammlung vermitteln und, foweit dies nach einer einmaligen Durch-
ficht ohne Unterftützung photographifdier Aufnahmen möglich ift, dem heu-
tigen Stande der Wiflenfchaft entfprechend das Material der wichtigften Serien
kunfthiftorifch gruppieren.

Mit der Kunft des 15. Jahrhunderts ftehen nur zwei niederländifche
Einzelteppiche mäßigen Umfangs in Beziehung <Serie XXX, 2. 3>. Es find
zwei Darftellungen der Disputation über die Taufe Chrifti, die letzten Endes
auf Rogiers Johannesaltar zurüdcgehen.1) Die Kompofitionen find durchwegs
bildmäßig geftaltet,- wie Miniaturen find fie von reichen Bordüren umgeben, die
namentlidi auf dem kleineren Teppich, offenbar einem Brüfleler Erzeugnis des
beginnenden 16. Jahrhunderts, wo ein Rankenmotiv durchfetzt wird von den
Halbfiguren des Stammbaums Chrifti, den größten Reiz des Gewebes aus-
machen. — Aus den erften Jahren des 16. Jahrhunderts ftammt dann die
ältefte Serie <CIf> der fechs Triumphzüge Petrarcas 2>,- die Tapiflerien weifen
weder ein Fabrikzeidien noch ein Monogramm des Teppichwebers auf, doch
fpricht der Stil für einen Entwerfer aus dem niederländifch=franzöfifchen
Grenzgebiet, der franzöfifdie Text der Beifdmffen und verfchiedene EinzeD
heiten für franzöfifche, vielleicht in Tournai zu lokalifierende Herftellung. Die
Art der Allegorie zeigt deutlich fchon das Einftrömen des antiken Geiftes,- fo
wird der Tod nicht durch den Senfenmann, fondern durch die drei Parzen
dargeftellt,- die Formgebung ift noch durchwegs die der nordilchen Spätgotik,
Frührenaiflancemotive find nur in der Ornamentik zu vermerken.

In den Jahren 1517—1519 wurden in derWerkftatt des Pieter van Aelft
nach den meift von Schülerhänden fertiggeftellten Kartonen Raffaels die Ta-
peten gewebt, die Papft Leo X. zum Schmudc des unteren Teils der Wände
der Sixtinifchen Kapelle beftellt hatte. Der Einfluß, den diefe Tapiflerien auf

1> Eine dritte Variante aus der Sammlung Maillet de Boulay ilt abgebildet bei Pinchart,
Histoire de la tapisserie dans les Flandres, Paris 1878/85.

2> Reproduziert im Wiener Jahrbuch I. Einzelne Abbildungen audi bei Prince d'Ess-
ling et Eug. Müntz, Petrarque, Paris 1902, S. 212 ff. Eine Wiederholung des »Nacbruhmes«
mit verringerter Figurenanzahl kam aus der Sammiung Somzee ins BrüITeler Mufeum, pu-
bliziert von Deltree im »Bulletin des Musees royaux des arts decoratifs et industriels« 1904.
 
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